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Beim Mutschelwürfeln frisst die Sieben 

Spiel Das Mutschelwürfeln im Oberlenninger Gemeindehaus war ein generationenübergreifender Spaß. Vom ­Grundschulkind bis zum Senior war alles vertreten. Die Regeln sind schnell zu begreifen. Von Peter Dietrich

Neun Tische standen im Oberlenninger Gemeindehaus der Evangelischen Julius-von-Jan-Kirchengemeinde Lenningen bereit, dazu lagen 36 Würfelmutscheln und eine große Saalmutschel vom lokalen Bäcker am Platz. Warum 36? Benjamin Gökeler, der den fröhlichen Abend organisiert hatte, hatte mit vier Würfelrunden an den neun Tischen kalkuliert. Da diesmal nur sieben Tische mit Teilnehmern gefüllt waren, wurden eben an jedem Tisch fünf Runden gewürfelt. Vor dem Spiel, auch das gehört zur jährlichen Tradition, gab es eine kurze Andacht zur neuen Jahreslosung. Dazu hatte sich Pfarrer Dirk Schmidt etwas ausgedacht, was auch den Kindern gefiel. In norddeutscher Schlechtwetterverkleidung trat er als kirchlicher Sachverständiger auf, der feststellen sollte, ob in der Gemeinde auch alles das rechte Maß hat – von der Länge der Kreide über die Tischhöhe bis zum Dickschädel. Sogar an das Grinsen eines Teilnehmers legte er die Wasserwaage an. Um dann schließlich darauf zu verweisen, dass es nur ein einziges Maß gebe, auf das es im Leben wirklich ankäme – die Liebe. Egal, ob man für die Mama den Müll rausbringt, für die Enkel kocht oder einem andern rücksichtsvoll seine Kritik mitteilt.

Eine Eins bringt 100 Punkte

Bei den Regeln zum Mutschelwürfeln hatte Benjamin Gökeler nichts Kompliziertes mitzuteilen. Gewürfelt wurde mit drei Würfeln. Ein Auge gab 100 Punkte, sechs Augen gaben 60 Punkte. Die anderen Augen zählten genau so viel, wie sie optisch darstellten. Es wurde jeweils drei Mal gewürfelt. Wer also etwa beim ersten Wurf eine Eins dabei hatte, behielt diese und würfelte mit den anderen beiden Würfeln weiter. Einer Sonderregel gab es noch: Wer zwei Sechsen hatte, was 120 Punkte wären, konnte diese bei den ersten beiden Würfen gegen eine Eins umtauschen. Er verzichtete also auf 20 Punkte, konnte das aber beim weiteren Würfeln mehr als wettmachen.

Beim Mutschelwürfeln der Evangelischen Julius-von-Jan-Kirchengemeinde Lenningen wurde an sieben Tischen gewürfelt. Foto: Peter Dietrich

Wer an seinem Tisch zuerst 1000 Punkte hatte, gewann eine Würfelmutschel. Wobei jede Runde immer zu Ende gespielt wurde, so konnte ein Tausendüberschreiter doch noch überholt werden. So ein Gewinn muss natürlich finanziert werden, auch dafür gab es eine Regel: Überreicht und mit fünf Euro bezahlt wurde die Würfelmutschel von denjenigen mit der geringsten Punktzahl am Tisch. Das Geld stand aber nicht im Mittelpunkt, auch wenn der kleine Überschuss des Abends der Finanzierung der Jugendreferentenstelle zugutekommt.

Thilo hatte gut lachen: Zum einen hatte er am Würfelsamstag Geburtstag, er wurde sieben Jahre alt, zum andern gewann er an seinem Tisch drei der fünf Würfelrunden und damit drei Mutscheln. Foto: Peter Dietrich

Thilo hatte gut lachen: Zum einen hatte er am Würfelsamstag Geburtstag, er wurde sieben Jahre alt, zum andern gewann er an seinem Tisch drei der fünf Würfelrunden und damit drei Würfelmutscheln. Zwei davon bekam er vom Teckboten-Reporter überreicht, der beim Würfeln etwas weniger erfolgreich war. Er hatte aber am Ende doch noch Glück und bekam die 36. Würfelmutschel überreicht, die ja bei sieben mal fünf Würfelrunden übrig war.

Für das größte Exemplar, die Saalmutschel, kam es ebenfalls darauf an, wer zuerst die Tausendergrenze geknackt hatte, auch hier wurde die Runde zu Ende gespielt. Die Gewinnerin des Prachtexemplars von Saalmutschel freute sich über ihren Preis sehr. Die niedrigste Augenzahl der Saalrunde wurde ebenfalls ausgewertet, sie wurde von der Saalmutschelgewinnerin des Vorjahres erwürfelt. Sie musste aber nichts bezahlen, sondern bekam als Trostpreis ein Vesper – eine kleine Vespermutschel und ein Paar Landjäger – überreicht.

Wie lange gibt es die Tradition?

Die gelöste Stimmung beim Mutschelwürfelabend in Lenningen war in etwa so wie beim samstagabendlichen Spielabend auf einer Wochenendfreizeit. Es waren ganze Familien dabei, am Ende, als es schon etwas später geworden war, schlief schon mal eine Tochter auf Papas Armen ein. Nur eine ernsthafte Frage blieb am Ende des lustigen Abends ungeklärt: Wie viele Jahre genau wird diese Tradition nun schon in Oberlenningen gepflegt? Sicher ist, dass der frühere Pfarrer Hans Speidel sie aus dem Reutlinger Raum ins Lenninger Tal gebracht hatte, etwa um das Jahr 1980.

Vielleicht können Zeitzeuginnen und Zeitzeugen unter den Lesern und Leserinnen des Teckboten ja mit näheren Angaben weiterhelfen? Auskünfte zum Ursprung des Mutschelwürfelns nimmt das Lenninger Pfarramt entgegen.

 

Ein Gebäck aus Reutlingen

Umfassende Informationen zur Mutschel, inklusive Rezept, sind auf der Website www.brauchwiki.de zu finden. Das Gebäck stammt aus Reutlingen, dort wird traditionell am ersten Donnerstag nach dem Dreikönigstag um die Mutscheln gewürfelt. Sie werden mit ihren acht Zacken aus einem mürben Hefeteig gebacken und schmecken ähnlich wie ein Milchbrötchen. In der Gestaltung steckt viel Arbeit, eine große Mutschel auf Bestellung kann bis über 20 Euro kosten.

Laut einer Chronik aus dem Jahr 1578 wurden die Mutscheln in Reutlingen bei den jährlichen Wahlen von Zunftmeistern, Räten und Bürgermeistern an die Kinder verteilt. Es war eine Art Demokratieerziehung: Sie sollten schon in jungen Jahren mit den Wahlen eine positive Erfahrung verbinden.

Zur Form und den acht Zacken gibt es verschiedene Theorien. Stellten die Zacken acht Gemeinden dar? Ist mit der Erhöhung die Achalm bei Reutlingen gemeint? Wird auf die acht Zünfte verwiesen? Als „gute Erklärung“ verweist die genannte Website auf das Zeichen der Bäckerzunft, mit Brezeln und Mühlrad. So stelle die Mutschel ein Mühlrad dar.

Für die Würfelspiele zur Mutschel gibt es verschiedene Varianten, die bemerkenswerte Namen wie „Der Wächter bläst vom Turme“ und „Sieben frisst“ tragen. pd