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Bis hierhin und nicht weiter

Jugend Die Theatergruppe „Courage“ klärt auf. Gemeinsam mit der Polizei zeigt sie Schülern ein interaktives Stück über Gefühle, Sex und Respekt. Von Andrea Barner

Jörg Pollinger von „Courage“ moderiert und fragt, wie die Jugendlichen sich in vergleichbaren Konflikten verhalten würden. Poliz
Jörg Pollinger von „Courage“ moderiert und fragt, wie die Jugendlichen sich in vergleichbaren Konflikten verhalten würden. Polizist Paul Mejzlik erklärt das Strafrecht.Fotos: Andrea Barner

Präventionstheater nennt sich das, was die Psychologische Fachberatungsstelle „Kompass“ und „Pro Familia“ gemeinsam im Mehrgenerationenhaus „Linde“ auf die Beine gestellt haben. Schülerinnen und Schüler im Teenager-Alter sehen gemeinsam, wie zwei junge Leute, Lars und Franzi, zaghaft und zögerlich aufeinander zugehen und ein erstes Treffen außerhalb der Schule verabreden. Lars (Daniel Neumann) und Franzi (Kati Schweitzer) haben Selbstzweifel - was zieh ich bloß an, was soll ich eigentlich mit der reden? Enge Freunde werden um Rat gefragt, coole Sprüche vor dem Spiegel geübt, da ist sehr viel pubertäre Unsicherheit im Spiel. Bei ihrem Date im Jugendhaus verstehen sie sich eigentlich super - überschreiten aber beide Grenzen, was körperliche Nähe angeht. Zusammen mit dem Publikum und einem Moderator von der Theatergruppe erarbeiten sie Strategien, wie Missverständnisse und Aufdringlichkeiten aus der Welt zu räumen sind und wie man sich am Ende trotzdem wieder gut versteht.

Lars will ein Bikinifoto

Was ist geschehen? Franzi neckt Lars und zieht am gut sichtbaren Gummiband seiner Unterhose, das kann er gar nicht leiden. Er dagegen wünscht sich erst ein Bikinifoto von Franzi, dann will er sie „richtig“ küssen, einmal grapscht er sogar nach ihren Brüsten - das geht zu weit, das Date droht zu platzen. „Das ist ein großes Thema für Jugendliche in dem Alter“, meint Jörg Pollinger vom Theater „Courage“, der das gegenseitige Beschnuppern von Lars und Franzi als Moderator begleitet. Die Schüler im Publikum zieht er aktiv mit hinein ins Geschehen, lässt sie über mögliche Reaktionen abstimmen, und die Schauspieler setzen das Ergebnis auf der Bühne um. „Schon beim Kennenlernen sind so viele Stolpersteine drin, deshalb haben wir das Stück entwickelt.“ Übergriffe gelten nun mal nicht als Kavaliersdelikte, sondern sind seit einiger Zeit sogar Straftaten. „Ich glaube schon, dass die Sensibilität hierfür gestiegen ist“, vermutet Pollinger, „das gab’s natürlich früher auch schon, aber die Mädels haben sich meistens nicht getraut, da was zu sagen.“

Das Publikum macht vernünftige Vorschläge: Im Vorfeld des Dates erst mal cool bleiben, keine zu hohen Erwartungen haben, die Dinge mal auf sich zukommen lassen. Wenn Grenzen überschritten werden, dann nicht einfach nur runterschlucken, sondern das Thema konkret ansprechen und über die Gefühle reden, die eine übergriffige Handlung ausgelöst hat. Nur so kann der andere verstehen, was da passiert ist. Manchmal ist ja gar nicht sehr viel passiert, doch da ist halt so ein komisches Bauchgefühl.

Damit auch jeder den Ernst der Lage begreift, ist ein Berater vom Polizeipräsidium Reutlingen dabei. Er tritt auf die Bühne, als Lars zu sehr zur Sache geht und Franzi völlig verwirrt aus dem Raum stürzt. Kriminalhauptkommissar Paul Mejzlik macht den Jugendlichen im Theaterraum schnell klar, um was es sich dreht, wenn Jungs und Mädchen sich gegenseitig an die Wäsche gehen oder einen Kuss erzwingen: sexuelle Nötigung. Und die ist strafbar. Das gedankenlose Weiterschicken von anzüglichen Fotos läuft unter der Rubrik „Verbreitung pornografischer Bilder“, erklärt der Polizist den Jugendlichen, auch das ist gesetzlich verboten.

Kein Pardon für Sex unter 14

Während zum Beispiel Bikinibilder noch ein Grenzfall sind, gibt’s kein Pardon für sexuelle Handlungen mit Mädchen oder Jungen unter 14 Jahren. Im wirklichen Leben enden Übergriffe oft nicht wie bei Lars und Franzi mit einem netten Kinoabend. Die Polizei meint: Der Bedarf an Aufklärung wächst.

Das Theater „Courage“ tritt mit dem Stück „Grenzbereiche“ seit gut vier Jahren rund um Stuttgart auf. Die Auftritte werden mit Schulen und sozialen Einrichtungen koordiniert. In Kirchheim geht es nach dem Schlussapplaus sogar noch weiter. Die Mitarbeiter der beiden Beratungsstellen „Kompass“ und „Pro Familia“ nehmen die Schülerinnen und Schüler der Janusz-Korczak-Schule direkt aus der „Linde“ mit in ihre Geschäftsräume. Dort soll das Thema in Gruppenarbeit vertieft werden.

Drei Fragen an Hauptkommissar Paul Mejzlik

1. Wann spricht man von Übergriffen?

Vielen ist nicht bewusst, dass es bereits sexuelle Nötigung ist, wenn einer irgendwelche Berührungen nicht möchte. Um da aufzuklären, unterstützen wir von der Polizei auch gerne Veranstaltungen wie das Theaterstück „Grenzbereiche“.

2. Wie tragen digitale Medien zu Grenzverletzungen bei?

Es greift immer weiter um sich, dass zum Beispiel Nacktaufnahmen zunächst dem besten Freund oder der besten Freundin geschickt werden. Wenn die Freundschaft aus ist, werden die dann weitergeschickt. Häufig kommt es deshalb zu Strafverfahren. Deshalb finden wir es notwendig, da aufzuklären.

3. Pornografische Bilder sind tabu, aber wo beginnt die Grauzone?

Ein Bikinibild wäre für mich ein Grenzfall. Aber sobald Fotos zum Beispiel auf der Schultoilette gemacht werden oder in der Umkleidekabine, dann ist das sicherlich strafbar. Leider ist das Unrechtsbewusstsein bei den Jugendlichen nicht besonders ­ausgeprägt.aba