Es waren die schwersten Auseinandersetzungen im Nahostkonflikt seit Jahren. Seit Freitagmorgen stehen die Waffen zwischen militanten Palästinensern und Israel still. Der Bissinger Martin Lempp war von 1999 bis 2002 Länderbeauftragter der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Israel. Er pflegt nach wie vor enge Kontakte zur israelisch-palästinensischen Friedensbewegung und liefert eine Einschätzung zur Situation in Nahost:
„Mein Freund Amos, ein jüdischer Israeli und Pazifist, schreibt seit rund 15 Jahren unter der Überschrift ,Don't say we did not know’ wöchentlich eine kleine Notiz über die alltäglichen ‘acts of war’ der israelischen Institutionen (Polizei, Soldaten, Behörden, Siedler) gegen palästinensische Israelis. Es handelt sich zum Beispiel um den Abriss von Häusern, die Enteignung von Grundbesitz, die Entwurzelung von Olivenbäumen, die Zerstörung von Brunnen, das Abfackeln von fast reifen Getreidefeldern oder permanente Kontrollen, auch von Kindern.
Bei meinem letzten Aufenthalt in Israel vor zwei Jahren besuchten wir unseren Freund Aziz, einen moslemischen, israelischen Beduinen. Er lebt in der Wüste Negev in den Überresten des Dorfes El Arakib, das vor rund zehn Jahren dem Erdboden gleichgemacht wurde. Seither gab es weit über hundert Angriffe und Zerstörungen der Behelfsbehausungen. Der Scheich, Vater von Aziz, saß monatelang im Gefängnis, weil er sein Dorf nicht verlassen will.
Jetzt sprechen die Waffen. Wieder einmal ist der Konflikt eskaliert. Auslöser sind die Enteignungen von Häusern im Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah. Etwa 500 Palästinenser sollen Platz machen für jüdische Siedler. Die Kämpfe griffen vom Tempelberg und der Altstadt auf den Gazastreifen über. Von dort beschießt der militante Flügel der Hamas israelische Städte und tötet unschuldige jüdische Menschen (laut Nachrichten vom 17. Mai waren es zehn).
Das israelische Militär bombardiert den Gazastreifen und tötet unschuldige muslimische Menschen (über 200). Beide Seiten begehen Kriegsverbrechen. Die Hamas beweist der Welt ihre militärische Ohnmacht ohne Rücksicht auf die ,eigenen’ Toten. Das israelische Militär zeigt rücksichtslos seine militärische Überlegenheit. Zum Glück hält sich die, vom Iran finanzierte, bis an die Zähne bewaffnete Hisballah im Libanon bisher noch zurück.
Wem nützt dieser grausame, sinnlose Krieg? Neben der Rüstungsindustrie sind das vor allem korrupte und unfähige Politiker, die von ihrem innenpolitischen Scheitern ablenken wollen.
Und was geschieht in Deutschland? Synagogen werden angegriffen, weil dort Menschen beten, die denselben Glauben, wie die jüdischen Israelis haben. Neben Rechtsradikalen sind viele Muslime daran beteiligt, weil sie, so sagte mir einer, das Gefühl haben, hinter den Juden Opfer zweiter Klasse zu sein. Die Moslems seien die neuen Juden. Deutsche Politiker trauen sich auf Grund der deutsch-jüdischen Vergangenheit nicht, Kriegsverbrechen beim Namen zu nennen. Rechtsaußen lacht sich ins Fäustchen.
Was tut Not? Ein Ende von Rüstungsexporten, politische Gerechtigkeit, Einhaltung der Menschenrechte, radikale Absage an Antiislamismus und Antisemitismus, vor allem durch ehrliche Integration und der Aufbau, bzw. die Unterstützung von gewaltfreien Strukturen bei uns und in Palästina/Israel. Die Hoffnung auf einen einseitigen militärischen Sieg hat sich ausgeträumt. Entweder finden die beiden Völker in Frieden zueinander oder beide gehen unter.“
Der Bissinger Martin Lempp war von 1999 bis 2002 Länderbeauftragter der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Israel. Der Vater von drei Kindern und Großvater von drei Enkelkindern war bis zu seiner Rente im Herbst 2019 Mitarbeiter im Brückenhaus, zum einen in der Stadtteilarbeit in Ötlingen, zum anderen als Schulsozialarbeiter in der Freihof Realschule.
Zoom-Konferenz zur Situation in Nahost
Die Friedensinitiative Kirchheim FIN.K lädt am Dienstag, 25. Mai um 19.30 Uhr zu einem virtuellen Austausch mit dem jüdischen Pazifisten Amos Gvirtz und dem palästinensischen Pazifisten Zougbi al Zougbi aus Bethlehem ein. Sie sind direkt aus Israel beziehungsweise Palästina zugeschaltet und stellen die Gesamtsituation aus ihrer Sicht dar. Der Austausch findet in englischer Sprache statt – aus Zeitgründen gibt es keine Übersetzung. Allerdings können im Char nach der Einführung Fragen auf Deutsch gestellt werden. Der Zugangscode zu der Zoom-Konferenz ist unter https://kirchheim.forum2030.de zu finden.