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„Blitzkatarrh“ wütet in Kirchheim

Pandemie Vor gut 100 Jahren starben weltweit bis zu 50 Millionen Menschen an der Spanischen Grippe. Wie verlief die Pandemie damals in Kirchheim? Von Hannah Henrici

Das Teckboten-Archiv gibt Einblicke in die Zeit der Spanischen Grippe in der Region.Foto: Carsten Riedl
Das Teckboten-Archiv gibt Einblicke in die Zeit der Spanischen Grippe in der Region.Foto: Carsten Riedl

Atemschutzmasken, Schulschließungen, Ausgangssperren und Versammlungsverbote - diese Maßnahmen werden aktuell eingesetzt, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Vor 100 Jahren befanden sich die Menschen in einer ganz ähnlichen Situation wie heute. Damals ging ein anderes Virus um und forderte auf der ganzen Welt zahlreiche Todesopfer: die Spanische Grippe.

Zum ersten Mal trat die neuartige Krankheit im Frühjahr 1918 auf. Zunächst gab es kaum mehr Todesfälle als bei einer normalen Grippe. Ganz anders sah es während der zweiten und dritten Infektionswelle aus. Ab dem Herbst 1918 starben allein im Deutschen Reich ungefähr 300 000 Menschen an der Spanischen Grippe.

Wie kam die Pandemie nach Kirchheim, und welche Auswirkungen hatte die neue Krankheit hier? Im Teckboten häufen sich ab September 1918 Todesanzeigen von jüngeren Menschen und Menschen mittleren Alters, die an Lungenentzündungen gestorben waren. Von vielen Verstorbenen heißt es, sie seien nach kurzer, schwerer Krankheit innerhalb von drei bis acht Tagen gestorben. - Das könnte ein Zeichen sein, dass die Spanische Grippe auch in Kirchheim angelangt war.

In den Zeitungsartikeln selbst finden sich nicht viele Informationen über die Pandemie. Hauptsächlich berichtete die Presse über den Ersten Weltkrieg, seine Folgen und über die politischen Entwicklungen. Auch der wirtschaftliche Notstand im Land spiegelt sich wider, zum Beispiel in den Bekanntmachungen der Höchstpreise von Lebensmitteln.

Im Oktober 1918 erreicht die Krankheitswelle ihren Höhepunkt. Immer wieder finden sich im Teckboten Berichte über die Grippe hierzulande, zum Beispiel in Backnang und Untermarchtal. Andere Artikel erzählen, dass in Italien mehrere Tausend Menschen erkrankt seien, vor allem in Mailand, Genua und Rom.

Am 17. Oktober 1918 druckt der Teckbote den wissenschaftlichen Beitrag eines Professors ab. Darin beschreibt er eine „Influenza-Epidemie“, die sich innerhalb kurzer Zeit in fast ganz Europa ausgebreitet habe und als „Spanische Krankheit“ oder „Spanische Grippe“ bezeichnet werde. Damals gehen die Ärzte noch davon aus, die Grippe würde durch ein Bakterium ausgelöst. In dieser Ausgabe steht zu lesen: „Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass wir seit etwa Anfang Juni des Jahres eine Influenzaepidemie haben.“

In den nächsten Tagen wird die Bevölkerung darüber informiert, dass ein Teil des Zugverkehrs eingestellt und größere Menschenansammlungen verboten werden. Die Erkrankten müssen sich in Quarantäne begeben, viele Gemeinden verhängen strenge Ausgangsbeschränkungen. Die Schulen werden ebenso geschlossen wie Theater und Kinos. Am 22. Oktober verkündet die Stadt Kirchheim optimistisch in einer Bekanntmachung, die Krankheitswelle werde sicherlich „in ein paar Wochen zurückgehen“.

Doch die Pandemie dauert noch deutlich länger. Im November und Dezember 1918 füllen weiterhin viele Todesanzeigen vermuteter Grippetoter den Teckboten. Erst Mitte Dezember werden es weniger. Die getroffenen Maßnahmen waren erfolgreich. Während der Weihnachtszeit hat sich die gesundheitliche Lage im Land wieder etwas beruhigt. Im Januar und Februar 1919 gibt es fast keine Todesfälle mehr in Kirchheim, die auf die Spanische Grippe hindeuten. Trotzdem ist die Pandemie zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorbei. Es gibt keinen Impfstoff und kaum Medikamente, um die Krankheit wirksam zu bekämpfen. Die Ärzte können lediglich versuchen, die Symptome ihrer Patienten, wie Husten, Kopfschmerzen und Fieber, zu behandeln.

Anfang März ist die Spanische Grippe zurück im Südwesten. Es gibt wieder deutlich mehr Grippetote in der Kirchheimer Region. Diese dritte Krankheitswelle verläuft nicht so akut wie die im Herbst, dauert dafür aber deutlich länger. Bis weit ins Jahr 1920 hinein erkranken und sterben in der Teckregion noch Menschen an der Spanischen Grippe.

Fakten zur Spanischen Grippe

Die Spanische Grippe verbreitete sich zwischen 1918 und 1920 auf der ganzen Welt. Insgesamt starben zwischen 20 und 50 Millionen Menschen an der Krankheit, ungefähr 500 Millionen Menschen waren infiziert. In den Schützengräben und Lazaretten des Ersten Weltkriegs brach die Pandemie zuerst aus. Schnell verbreitete sie sich auch unter Zivilisten. Die Zeitgenossen bezeichneten die Krankheit als „Blitz-Katarrh“ oder „Flandern-Fieber“. Eine Infektion verlief kurz und schwer und konnte in drei bis acht Tagen zum Tod führen. Ungewöhnlich ist, dass an der Spanischen Grippe vor allem junge Menschen und Menschen mittleren Alters starben, weniger Alte.hah