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„Bücher kann man nicht verbrennen“

Gerhard Landauer stellt Kurt Tucholsky in den Mittelpunkt der Gedenklesung des Kirchheimer Literaturbeirats

Gerhard Landauer in der Kirchheimer Stadtbücherei: Zum Gedenken an die Bücherverbrennungen von 1933 stellte er Kurt Tucholsky vo
Gerhard Landauer in der Kirchheimer Stadtbücherei: Zum Gedenken an die Bücherverbrennungen von 1933 stellte er Kurt Tucholsky vor.Foto: Markus Brändli

Kirchheim. Der Zweite Weltkrieg und sein Ende sind nicht ohne den Nationalsozialismus zu denken.

Andreas Volz

Dabei gilt es aber auch an die Anfänge der nationalsozialistischen Herrschaft zu denken. Seit 2006 hat es sich der Kirchheimer Literaturbeirat zur Aufgabe gemacht, an die Bücherverbrennungen vom Mai 1933 zu erinnern – dieses Mal gleich im Anschluss an den Gedenkgottesdienst in der Martinskirche zum Kriegsende.

Am 9. Januar war Kurt Tucholskys 125. Geburtstag – für den Literaturbeirat ein Anlass, in der Gedenklesung nur diesem einen Autor zu huldigen. Gerhard Landauer stellte ihn in der Kirchheimer Stadtbücherei in allen möglichen Facetten vor.

„Was darf die Satire? Alles.“ In diesen wenigen Worten zeigt Tucholsky, dass er als Vertreter der Meinungsfreiheit auch heute noch aktuell ist. Und doch kommt im dazugehörigen Text auch die ganze Tragik des Kurt Tucholsky zum Ausdruck, von dem sein Kollege Erich Kästner schrieb: „Ein kleiner, dicker Berliner wollte mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten“. Tucholsky selbst formuliert das in seinem Satire-Text von 1919 folgendermaßen: „Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: Er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.“

Nahezu unermüdlich rannte Kurt Tucholsky gegen das Schlechte an. Und wie Heinrich Heine ein Jahrhundert vor ihm, wechselt er die Perspektive, indem er von Frankreich aus an Deutschland denkt. In seinem Gedicht „Park Monceau“ schreibt Tucholsky: „Hier bin ich Mensch – und nicht nur Zivilist.“ Militarismus und Obrigkeitsstaat sind ihm zuwider, und so kann er das Gedicht friedlich und unbeschwert abschließen: „Ich sitze still und lasse mich bescheinen / und ruh von meinem Vaterlande aus.“

Gänzlich ausruhen konnte sich Tucholsky nicht. 1924 besuchte er den Kriegsschauplatz bei Verdun, keine sechs Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs. Dabei stellte er fest: „Den Sohn, die Söhne haben sie ziemlich leicht hergegeben. Steuern zahlen sie weniger gern. Denn das Entartetste auf der Welt ist eine Mutter, die darauf noch stolz ist, das, was ihr Schoß einmal geboren, im Schlamm und Kot umsinken zu sehen.“ Und weitsichtig schließt er die Frage an: „Und wenns morgen wieder angeht –?“

Auch auf den Antisemitismus der Nationalsozialisten hat Kurt Tucholsky frühzeitig hingewiesen. In seinem Text „Hepp hepp hurra!“ schreibt er: „,Das deutsche Volk‘, hat einmal einer gesagt, ,besitzt zwei Leidenschaften: das Bier und den Antisemitismus.‘ Wenn man die Vorbereitungen zu den preußischen Wahlen mitansieht, muß man sagen, daß das Bier zwar achtprozentig, der Antisemitismus aber hundertprozentig ist.“ Der Wortwitz soll den Inhalt keineswegs verharmlosen, eher sarkastisch verstärken.

Wie bei Heine, taten sich viele Leser in Deutschland schwer mit der Kritik des Schriftstellers, und erst recht mit dem lockeren Plauderton, in dem er die Kritik daherbrachte. Noch über 50 Jahre nach Tucholskys Tod debattierte die Bundesrepublik über eines seiner berühmtesten Zitate, aus einem Text über den Ersten Weltkrieg: „Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“

Tucholsky war ein Vielschreiber, der außer unter seinem eigenen Namen noch unter vier Pseudonymen schrieb. Er brachte es fertig, einen bemerkenswerten Text „Zur soziologischen Psychologie der Löcher“ zu schreiben oder im Stil eines schlechten Schulaufsatzes Hitler und Goethe miteinander zu vergleichen.

Gerhard Landauer trug diese Texte gekonnt vor und brachte sein Publikum mit vielen Formulierungen Tucholskys zum Lachen. Umrahmt hat er die Lesung mit zwei Texten über Tucholsky, die dieses Jahr in Kirchheim entstanden sind, in Gerhard Landauers Freundeskreis. Tucholsky hätte 2015 wohl gesagt „Je suis Charlie“, hieß es da ganz aktuell. Und dann ging es noch um die Frage: „Was bleibt im Volk vom Werk Tucholskys / zur Zeit der Bohlens und Podolskis?“

Die Antwort darauf gab Gerhard Landauer bereits am Anfang, mit einem Rückblick Erich Kästners auf die Berliner Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933: Bücher „sterben nur eines natürlichen Todes. Sie sterben, wenn ihre Zeit erfüllt ist. Man kann von ihrem Lebensfaden nicht eine Minute abschneiden, abreißen oder absengen. Bücher, das wissen wir nun, kann man nicht verbrennen.“

Und so haben auch Tucholskys Bücher noch ein langes Leben vor sich.