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Covid und die Folgen: Genesen, aber noch längst nicht fit​

Corona ​Dass Patienten viele Monate mit den Folgen der Krankheit kämpfen, ist nichts Ungewöhnliches. Eine Göppinger Ärztin hat es besonders schlimm getroffen. Von Susann Schönfelder

Ich habe immer noch zu kämpfen mit Herzrhythmusstörungen, Kurzatmigkeit und Müdigkeit“, sagt Dr. Nikola Kandhari. „Das strengt an und nervt auch.“ Die 38-Jährige ist Medizinerin, arbeitet als Anästhesis­tin in der Göppinger Klinik am Eichert. Seitdem sie sich im März 2020 bei der Arbeit mit dem Coronavirus infiziert hat, ist nichts mehr, wie es war. Kandhari ist Leistungssportlerin, läuft Halbmarathon und war körperlich immer absolut fit. Seit der Infektion kämpft sie mit Leistungseinbrüchen und fühlt sich schlapp. „Ich mache Sport und arbeite ganz normal“, sagt sie. „Ich kann alles machen im Alltag und fühle mich nicht schwerstkrank“, erzählt die Göppingerin. Aber diese uneingeschränkte Fitness ist einfach weg. Kandhari läuft in der Statistik unter „genesen“, ist aber bis heute nicht gesund.

Eine typische Patientin für Long-Covid

Die Ärztin leidet – wie Tausende andere Menschen in Deutschland – unter Long-Covid. Der PCR-Test ist längst negativ, die akute Corona-Erkrankung überstanden. Was bleibt, sind die Symptome. „Dass Menschen lange Zeit damit zu kämpfen haben, ist nichts Ungewöhnliches“, sagt Dr. Timo Deininger, Leitender Arzt der Pneumologie und Beatmungsmedizin in der Klinik am Eichert in Göppingen. Bis zu einem Jahr könne der Leidensweg dauern. Dass Patienten nach einer Covid-Erkrankung nach acht bis zwölf Monaten immer noch nicht richtig gesund oder gar weitreichend eingeschränkt sind, „ist aber eine echte Ausnahme“, sagt der Mediziner. Seine Kollegin sei daher eine „Rarität“. Dennoch: Nikola Kandhari sei eine typische Patientin für Long-Covid, weiß Deininger. „Wir sehen Long-Covid überwiegend bei Patienten zwischen 20 und 40 Jahren“, sagt der Arzt. Bis zu 60 Prozent der Patienten, die in seiner Long-Covid-Sprechstunde wegen Atemwegsbeschwerden aufschlagen, seien Frauen. Und das nicht wenige. „Wir werden fast überrannt. Wir haben täglich im Schnitt zwei Patienten in der Sprechstunde.“ Covid-Erkrankte, die auf der Intensivstation behandelt werden mussten, hätten besonders mit den Langzeitfolgen zu kämpfen: „Da haben Dreiviertel nach acht Monaten noch richtig Beschwerden. Je schwerer man erkrankt war, desto länger.“

Diese Patienten hätten Schäden an der Lunge, Vernarbungen oder eine eingeschränkte Lungenfunktion. Auch andere Organe wie das Herz seien betroffen. „Dieses Erschöpfungssyndrom sehen wir bei Intensivpatienten gar nicht so oft“, weiß der Pneumologe aus Erfahrungen nach etwa einem Jahr Long-Covid-Sprechstunde. Deininger weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er und sein Team an der Klinik am Eichert sich auf Schäden an der Lunge fokussieren. „Da gibt es extrem viele Patienten, die mit Beschwerden zu uns kommen“, sagt er. Menschen, die nach einer Covid-Erkrankung mit Erschöpfung oder Gedächtnisstörungen zu kämpfen haben, sollten sich eher an Neurologen oder an Fatigue-Sprechstunden wenden.

 

Mich nach drei Schritten hinsetzen zu müssen, war eine völlig neue Erfahrung für mich.
Nikola Kandhari
Die Anästhesistin lief vor ihrer Corona-Erkrankung Halbmarathons.

 

Der Leitende Arzt der Pneumologie und Beatmungsmedizin am Eichert macht keinen Hehl daraus, dass viele Fragen noch offen sind: „Die Datenlage ist sehr dünn.“ Doch eine positive Seite scheint es in der aktuellen Welle zu geben: „Omikron geht offenbar nicht so sehr in die Lunge wie Delta, also weniger in die tiefen Atemwege. Es scheint weniger Lungenentzündungen zu geben.“

Die Covid-19-Erkrankung selbst war auch für Nikola Kandhari kein Spaziergang gewesen. Leistungseinbruch, Kopfschmerzen, Fieber, Atemnot, kompletter Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns. Die Ärztin hatte das volle Programm. „Mich nach drei Schritten hinsetzen zu müssen, war eine völlig neue Erfahrung für mich. Das kannte ich von mir nicht“, schilderte sie im Juli vergangenen Jahres ihren Zustand. Dass sie auch mehr als ein Jahr später mit den Folgen der Infektion kämpft, hätte sie schon vor Monaten nicht für möglich gehalten: „Es gibt keine Fortschritte, es wird eher schlechter“, meinte sie im Sommer. „Aber ich gebe nicht auf. Ich arbeite und mache weiterhin Sport.“ Trotz Kurzatmigkeit und Erschöpfung.

Sport und gesunde Ernährung sollen helfen

Viel weiter ist Kandhari auch heute nicht. Sie hatte die Hoffnung, dass die Impfung hilft. Es gebe Hinweise, wonach die Spritze die Symptome verschwinden lasse. Bei ihr hat sich aber auch diese Hoffnung zerschlagen – „trotz Booster“. Das Leben sei anstrengender als früher, berichtet die junge Frau, „ich habe Konzentrationsstörungen und muss mir viel mehr aufschreiben“. Eine spezielle Therapie macht sie nicht mehr, sie setzt auf viel Sport und gesunde Ernährung – und die Zuversicht, dass es doch irgendwann noch besser wird. Angst, sich als Anästhesistin bei ihrer täglichen Arbeit auf der Intensivstation nochmals zu infizieren, hat sie nicht: „Ich wünsche mir natürlich, dass ich das nicht noch mal durchmachen muss“, sagt Nikola Kandhari. „Aber wenn es kommt, dann kommt es.“