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Das Geschäft mit dem schlechten Gewissen

Interview Die Buchautorin Kathrin Hartmann ist Konzernen auf der Spur, die ihr schmutziges Kerngeschäft unter einem grünen Mäntelchen verbergen wollen. Anlässlich einer Lesung in Kirchheim sprach Antje Dörr mit ihr.

Kathrin HartmannAutorin Journalistin interview
Kathrin HartmannAutorin Journalistin interview

Frau Hartmann, ihr jüngstes Buch heißt „Die Grüne Lüge“. Was ist denn die „Grüne Lüge“?

Kathrin Hartmann: Die Grüne Lüge ist, dass uns Großkonzerne, unter anderem mithilfe der Politik und auch mithilfe von Organisationen, erzählen, dass das System, in dem wir leben, in Ordnung ist, wenn wir an ein paar Stellschrauben drehen. Dann können wir weiterleben wie bisher. Insbesondere große Konzerne lügen grün, indem sie sich ein grünes Mäntelchen umhängen und uns erzählen, dass ihr per se schädliches Kerngeschäft ökologisch und sozial verträglich ist. Das machen sie, indem sie sich mit Siegeln schmücken oder eigene Projekte überbetonen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Hartmann: Ein aktuelles Beispiel ist RWE, der Energiekonzern, der ja schon beim Atomausstieg alles getan hat, um ihn zu verhindern. Und zwar, indem er einerseits auf eine grüne Kampagne gesetzt hat. Da gab es ein Werbevideo mit dem grünen Riesen, der schöne Windräder aufstellt und Gezeitenkraftwerke. In Wahrheit hat RWE auf ganz hoher Lobby-Ebene gegen den Atomausstieg gekämpft. Jetzt passiert dasselbe mit der Kohle, und RWE behauptet wieder, sie seien doch viel grüner als man denkt. Dabei ist RWE der größte CO2-Emittent Europas. Im Moment ist RWE mein Lieblingsbeispiel, weil die Zivilgesellschaft gerade dabei ist, diese Macht zu kippen. Ich war letzten Samstag selbst im Hambacher Forst, und es war großartig.

Ist es nicht gut, dass Konzerne immerhin ein bisschen unternehmen, um die Welt zu verbessern?

Da muss man eine ganz einfache Gegenfrage stellen: Wenn Unternehmen tatsächlich Profit machen würden mit ökologisch und sozial korrektem Produzieren, Rohstoffe einkaufen und so weiter, warum sollten sie denn dann überhaupt etwas anderes tun? Dann könnten sie sich doch den ganzen Nachhaltigkeitszirkus sparen. Sie tun schon alle irgendwelche Kleinigkeiten, das ist nicht alles gelogen. Aber das betrifft nie das schädliche Kerngeschäft, sondern etwas, was maximal aufgeblasen und als grünes Schild vorgehalten wird. Und das nicht nur, um uns als Konsumenten bei Laune zu halten, sondern vor allem auch, um ein Zeichen an die Politik zu senden: Ihr müsst uns nicht regulieren, wir machen das selbst.

Wie wirken „grüne Lügen“ denn auf uns Verbraucher?

Wir haben ja alle ein schlechtes Gewissen. Wir wissen ungefähr, was unsere Lebensweise anrichtet. Wir wissen, was die Produkte im Supermarkt wahrscheinlich anrichten. Natürlich greifen wir eher zu einem Produkt, das „okay“ erscheint. Gemein daran sind zwei Dinge: Erstens sind viele Siegel, die uns dieses Gefühl vorgaukeln, nicht geschützt. Wir können also nicht überprüfen, was dahintersteckt. Und zweitens drängt sich doch die Frage auf: Warum ist es im Umkehrschluss in Ordnung, dass schädlichen Produkte überhaupt in den Supermarktregalen stehen? Warum ist diese Art der Produktion erlaubt, und warum wird uns die Verantwortung zugeschoben, zwischen Ausbeutung und Nicht-Ausbeutung wählen zu müssen, sofern man es denn überhaupt kann? Das ist eine Unverschämtheit, gegen die wir uns wehren sollten. Ich möchte mich doch darauf verlassen können, dass es per Recht und Gesetz so ist, dass wegen der Dinge, die ich brauche, nicht Menschenrechte verletzt werden, der Urwald abgeholzt wird oder die Weltmeere mit Plastik zugemüllt werden.

Sie sagen, dass man die Verantwortung für ethisches und umweltfreundliches Wirtschaften nicht den Bürgern überlassen sollte, sondern dass die Politik regulieren muss. Nun gibt es ja viele Menschen, die versuchen, Verantwortung zu übernehmen, indem sie ökologisch hergestellte Lebensmittel oder fair gehandelte Kleidung kaufen.

Bei Lebensmitteln kann man das vielleicht noch halbwegs steuern, wenn man die Zeit und das Geld hat, Lebensmittel durchgehend regional und ökologisch produziert zu kaufen. Es ist sicher gut, da­rauf zu achten, keine Fertigprodukte zu kaufen, wo nur ungesundes Zeug und ziemlich sicher Palmöl drin ist, wo man also sicher sein kann, dass dafür Umwelt zerstört und Menschenrechte verletzt werden. Aber es wird nicht ausreichen. Und vor allen Dingen wird es niemals die kritische Masse geben, die einen Markteinfluss hat, so dass nur noch so hergestellt wird. Die großen Zerstörungen laufen außerdem noch auf ganz anderen Ebenen ab. Das betrifft nicht nur das Zeug im Supermarkt. Bei Lebensmitteln geht das vielleicht noch, bei Waschmittel wird’s schon schwieriger, und richtig kompliziert wird es bei Pensionsfonds oder Versicherungen, die in solche Rohstoffe investieren. Darauf hat man gar keinen Einfluss. Deshalb ist es sehr viel wichtiger, auf einer politischen Ebene die Macht dieser Konzerne zu bekämpfen.

Wie bringt man die Politik Ihrer Meinung nach dazu, die Macht der Konzerne einzuschränken? Freiwillig scheint’s ja nicht zu gehen. . .

Das wird von unten kommen müssen. Bei RWE passiert das gerade massiv. Das ist ein demokratischer Akt, und ich finde das ganz toll. Dort war ein Punkt erreicht, an dem viele Menschen gesagt haben: Es reicht jetzt! Es geht nicht, dass ein Großkonzern auf Kosten des Klimas und dieses Waldes, auf Kosten der Anwohner und aller Steuerzahler, die den Polizeieinsatz bezahlen müssen, Profit machen möchte. Am Samstag waren mehr als 50 000 Menschen da, um zu demonstrieren. Das macht Druck auf Politik, Gewerkschaften und Kohlekommission.

Der Hambacher Forst ist ein großes Beispiel. Was kann man auf lokaler Ebene tun?

Unheimlich viel. Das Gute an der lokalen Ebene ist, dass es gute Netzwerke gibt und man so schnell Verbündete findet. Durch Solidarische Landwirtschaft kann man beispielsweise viel erreichen. Verbesserungen im Bereich Mobilität sind auf lokaler Ebene viel besser durchzusetzen.

Muss man nicht Menschen auch dazu bringen, weniger zu konsumieren?

Ich glaube nicht, dass man sehr viele Menschen dazu bewegen kann, weniger zu konsumieren. Wichtiger finde ich die Frage, warum Unternehmen denn so produzieren können, wie sie es tun. Sie können diese Massen an Produkten ja nur herstellen, weil sie in den Ländern des Südens Zugriff auf Rohstoffe, Natur und Arbeitskraft haben. Was auf UN-Ebene verhandelt wird und von den Bewegungen des Südens gefordert, ist ein rechtlich bindendes Menschenrechtsabkommen, das UN-Binding-Treaty. Das würde dazu führen, dass Unternehmen in ihrer Lieferkette Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung, Korruption und Steuerhinterziehung vermeiden müssen, darlegen müssen, wie sie sich daran halten, und überprüft werden. Wenn sie sich nicht daran halten, werden sie zur Verantwortung gezogen. Das ist etwas, wofür man auf politischer Ebene kämpfen kann. Die Bundesregierung unter Einfluss der Lobby sträubt sich extrem dagegen. Trotzdem setze ich viel Hoffnung darauf. Mehr als darauf, dass ich dem Porsche-Fahrer von gegenüber samstagmorgens erkläre: Du, ich fände es viel cooler, wenn du Fahrrad fahren würdest (lacht).