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Das Geschäft mit der Not

Privatleute und Investoren wittern das schnelle Geld mit Flüchtlingen

10 000 Euro Monatsmiete für eine Vier-Zimmer-Wohnung, 25  Euro pro Nacht für vier Quadratmeter Kellerraum – Beispiele aus deutschen Städten, die einen neuen Trend belegen. Auch im Kreis Esslingen versuchen Vermieter und Grundstücksbesitzer aus der Flüchtlingsnot Kapital zu schlagen.

Geeignete Quartiere für Flüchtlinge zu finden, wird immer schwieriger. Eine Notlage, die für Immobilienbesitzer zum guten Geschä
Geeignete Quartiere für Flüchtlinge zu finden, wird immer schwieriger. Eine Notlage, die für Immobilienbesitzer zum guten Geschäft wird.Foto: Markus Brändli

Esslingen. Peter Keck spricht von „Goldgräberstimmung.“ Der Sprecher im Esslinger Landratsamt kennt die Situationen, denen die Kollegen im Liegenschaftsamt regelmäßig begegnen. Je größer die Not bei der Suche nach geeigneten Unterkünften für die wachsende Zahl an Flüchtlingen, desto dreister die Offerten, die bei der Kreisverwaltung auflaufen. Wer Angebote heute wegen überzogener Forderungen ablehnt und kurze Zeit später notgedrungen doch darauf zurückkommen will, erfährt nicht selten, dass sich der Preis nun deutlich erhöht habe. Mietobergrenzen in den Städten und Gemeinden, wie sie für Hartz-IV-Empfänger gelten – beim Thema Flüchtlinge ist dies schon lange kein Thema mehr. Bei Preisen für geeignete Grundstücke sieht es nicht anders aus.

Sind Landkreise und Kommunen diesem Treiben hilflos ausgeliefert? „Noch sind wir in der Lage, Nein zu sagen “, meint Keck. „Unsere Sorge ist, dass wir irgendwann gar nichts mehr bekommen, unabhängig vom Preis.“ Was die meisten Vermieter wissen: Privater Wohnraum ist für Stadt- und Landkreise trotz allem die günstigste Lösung. Teurer sind große Einheiten, ohne die es nicht geht. Wo 200 und noch mehr Flüchtlinge auf einen Schlag unterkommen müssen, geht das nur in Notquartieren wie Hallen oder Zelten. Mobile Küchen, Sanitäreinrichtungen, Sicherheitsdienste oder Heizung treiben die Kosten dort gewaltig in die Höhe. Von 70  bis zu 700 Euro pro Platz und Monat reicht die Spanne.

Angebot und Nachfrage stehen beim Thema Flüchtlingsunterbringung in besonders krassem Missverhältnis. „Der Markt ist völlig überhitzt“, sagt Thomas Eberhard, zuständiger Dezernatsleiter im Landratsamt. Immer häufiger sind es gewerbliche Investoren, die das große Geschäft wittern. Wo die Schmerzgrenze bei Preisen endet, ist eine Frage des Ermessens. Festgeschriebe Obergrenzen, bis zu denen das Land die Kosten zurück erstattet, gibt es nicht. Die Kalkulation aus Laufzeit, Belegbarkeit und möglichen Umbaukosten geben nur einen Richtwert vor. Bei größeren Objekten hat immerhin der Kreistag das letzte Wort.

Ähnlich sieht es in der Anschlussunterbringung aus, die Aufgabe von Städten und Gemeinden ist. Wer als Asylbewerber anerkannt ist, kann aus der Erstunterkunft ausziehen und sich eine eigene Wohnung suchen, spätestens nach 24 Monaten. Die Chance, bezahlbaren Wohnraum zu finden, ist gering. „Ich möchte nicht behaupten, dass wir es nur mit Abzockern zu tun haben“, sagt Kirchheims Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker. „Aber manche Angebote sind schon sehr dreist.“ Andere sind nicht nur überteuert, sondern schlicht unzumutbar. Beispiele, wie jenes Kellerloch im Gewerbegebiet Bohnau, das der Stadt vor wenigen Wochen zur Vermietung angeboten wurde, sind keine Seltenheit. 200 Plätze in diesem Jahr, etwa 700 bis Ende 2017 muss Kirchheim für die Anschlussunterbringung zur Verfügung stellen. Das geht nicht allein aus eigener Kraft. 28 Angebote sind seit Juli im Rathaus eingegangen, 20 Mal kam es zu keiner Einigung. Ein weiteres Problem: Immer mehr Wohneigentümer melden Eigenbedarf an. In Kirchheim sind allein in dieser Woche 20 Familien von einer Räumung betroffen.

Der Bedarf ist groß, das Geld knapp. Das 35 Millionen schwere Förderprogramm des Landes ist mehrfach überzeichnet. Es gilt die Regel, wer zuerst kommt, malt zuerst. „Wir brauchen dringend mehr Mittel vom Bund“, sagt Kirchheims Rathauschefin. Doch auch das führte zu keiner raschen Entspannung. Schnelle Lösungen gibt es nicht. Der Wohnungsmarkt ist ein träges System. 180 Wohneinheiten sollen beim Kirchheimer Güterbahnhof entstehen, wo der Gemeinderat ein verkürztes Verfahren anstrebt. Frühester Bezugstermin wäre dennoch erst Ende 2017. Matt-Heidecker sagt es unverblümt: „Ich sehe ein großes Problem auf uns zukommen.“