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Dem Alltag fehlt die Struktur

Corona-Auswirkungen Für Familien mit Kindern ist die Zeit des Home-Schoolings kein Zuckerschlecken. Kinder mit Behinderung leiden aber besonders unter dem Kontaktverbot. Von Julia Nemetschek-Renz

Imma Stozek mit ihrem Sohn Timo.Foto: Julia Nemetschek-Renz
Imma Stozek spielt mit ihrem Sohn Timo. Foto: Julia Nemetschek-Renz

Imma Stozek ist seit dem jahr 2015 im Vorstand der Lebenshilfe Kirchheim aktiv. Ihr zehnjähriger Sohn Timo hat das Downsyndrom. Und wie alle Kinder wird er jetzt zu Hause beschult. Warum das sehr schwierig ist und auch eine enorme Belastung für die Eltern darstellt, erzählt Imma Stozek sehr offen im Interview.

Frau Stozek, keine Schule, lang ausschlafen, ein paar Hausaufgaben und viel mehr freie Zeit - das hört sich erstmal ganz entspannt an?

Imma Stozek: Ist es aber leider überhaupt nicht. Unserem Sohn fehlt einfach die Struktur des Alltags, und die tut ihm sonst sehr gut. Viele Menschen mit Behinderung brauchen die festen Strukturen, sie geben Halt und Sicherheit. Und die sind für uns alle jetzt weggebrochen.

Und was bedeutet das für Ihren Alltag?

Stozek: Dass ich die ganzen Strukturen allein schaffen und durchsetzen muss. Jetzt aufstehen, frühstücken, Mathe, Deutsch, Musik, Sachkunde unterrichten. Ich achte darauf, dass wir einen festen Zeitplan haben, den wir auch einhalten. Es ist für mich ein ewiges Motivieren, Anspornen, Dranbleiben.

Ist das mit einem Kind mit Behinderung anders als in anderen Familien?

Ich denke schon. Ich muss Timo in allen Fächern unterstützen, mit ihm lernen, alles mehrmals wiederholen, natürlich sehr viel Geduld haben. Außerdem haben Kinder mit geistiger Behinderung meist einen individuellen Lernplan. Ich bin also sehr auf den regelmäßigen Austausch mit den Lehrern angewiesen. Denn sonst weiß ich manchmal gar nicht, was eigentlich das Lernziel der Aufgaben sein soll.

Und wie geht es Ihnen so als Lehrerin?

Ich finde, es kostet enorm viel Kraft, den ganzen Tag Struktur zu bieten. Manchmal wünsche ich mir einfach mal zehn Minuten nur für mich allein. Aber ich glaube, das kennen fast alle Mütter. Ich bin einfach sehr gebunden gerade. Timo kann ich nie aus den Augen lassen. In einem Moment spielt er noch Lego und dann will er die Welt erkunden und schon ist er weg.

Und was ist das Schwierigste im Moment?

Meinem süßen Kind, das so gern mit Menschen zusammen ist, alle knuddeln möchte und auf jeden fröhlich zugeht, zu erklären, dass er das alles nicht darf. Und dann von seinen Sorgen zu hören, darum, dass Menschen, die ihm wichtig sind, sterben könnten. Er hatte im März Geburtstag und als einziges Geschenk hatte er sich eine große Feier mit ganz vielen Leuten gewünscht. . .

Was wünschen Sie sich?

Auf jeden Fall Besonnenheit. Ich würde mir wünschen, dass die Förderschulen langsam und schrittweise wieder geöffnet werden. Timo hat ein schwächeres Immunsystem und ich gehöre ja durch meine Querschnittslähmung auch zur Risiko-Gruppe. Noch etwas ganz Praktisches: Ich würde mir für alle Familien wünschen, dass die Schulbegleiter, die gerade nicht in den Schulen arbeiten, in den Familien, bei den Schulaufgaben, mithelfen dürften.

Hier bekommt man Unterstützung

Beim Familienentlastenden Dienst der Lebenshilfe beantwortet Sabrina Schmid Fragen und organisiert stundenweise Betreuung der Kinder oder Angehörigen. Geschulte Helfer holen Kinder zu einem Spaziergang ab oder spielen mit ihnen. Die Einhaltung der hygienischen Standards ist gewährleistet. Erreichbar ist die Lebenshilfe von 8 bis 16 Uhr unter 01 78/8 58 73 67.