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Demokratie muss man lernen

Bildung Wie macht man aus Jugendlichen mündige Bürger? Wie geht man mit Querdenker-Demonstrationen um? Lehrer müssen demokratische Werte vermitteln, meint Wolfgang Beutel. Von Thomas Zapp

Das Projekt „Be Part“ ist ein Beispiel für außerschulische Demokratieerfahrung.Archivfoto: Markus Brändli
Das Projekt „Be Part“ ist ein Beispiel für außerschulische Demokratieerfahrung. Archivfoto: Markus Brändli

Die Demokratie steckt in der Krise, was „Einstellungen, Diskurse und die Parteienlandschaft angeht“, meint Hans Dörr, einer der Initiatoren des Forums Kirchheim 2030. Passend dazu hat das Forum den Wissenschaftler Dr. Wolfgang Beutel von der Leibniz-Universität Hannover eingeladen. Beutel, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik, befasst sich im doppelten Wortsinne mit Demokratiebildung an Schulen. Wichtig bei der Vermittlung demokratischer Werte sind für ihn die drei „Beutelsbacher Gebote“: das Indoktrinationsverbot sowie Kontroversität und Schülerorientierung. Ziel müsse es sein, Schüler in die Lage zu versetzen, sich eine eigene Meinung bilden zu können. Sie müssen aber auch lernen, Themen kontrovers zu diskutieren. Dabei müssen Lehrer die Schüler in die Lage versetzen, die politische Situation der Gesellschaft und ihre eigene Position zu analysieren. „Demokratie gehört zu den erlernbaren Themen“, sagt er. Wichtig sei das Bewusstsein, dass die Menschenrechte die Grundlage seien. „Es gibt keine verschiedenen demokratischen Systeme.“

Zwar befürwortet Beutel ausdrücklich jugendlich geprägte Bewegungen wie „Fridays for ­Future“ ebenso wie kritisches Hinter­fragen der Corona-Maßnahmen. „Lehrern würde ich als Schulrektor aber dringend davon abraten, auf Querdenker-Demos mitzulaufen“, warnt er. Denn da gelte das Neutralitätsgebot der Lehrer, die zudem eine Vorbildfunktion inne­hätten. Außerdem müsse sich Meinungsäußerung in demokratischem Rahmen bewegen. Auseinandersetzungen mit der legitimierten Staatsgewalt wie bei der jüngsten Querdenker-Demo in Leipzig seien nicht akzeptabel. Dass die Corona-Maßnahmen am Parlament vorbei zwischen Regierung und Ländern beschlossen wurde und der Gesundheitsminister die Kompetenzen eines Innenministers bekommt, hält er dagegen für problematisch: „Ich war überrascht, wie schnell Grundrechte eingeschränkt werden konnten. Dass dies nur von einigen Staatsrechtlern kritisiert wurde, hat mir Unbehagen bereitet.“ Dies müsse man auch thematisieren.

Ein anderes Beispiel ist die Abholzung des Danneberger Forsts, die demokratisch beschlossen wurde. „Da habe ich Jugendliche gehört, die Verträge brechen wollten“, sagt er. Das sei besorgniserregend. In einer Demokratie könne man das nicht wollen. Eine „freundliche Diktatur“, etwa im Sinne der Umwelt, sei nicht besser als eine klassische Diktatur, sondern ebenfalls undemokratisch.

Zur demokratischen Entscheidungsfindung gehört Geduld und auch eine gewisse Frusttoleranz. Das müsse man erlernen, denn von alleine erkläre sich Demokratie nicht. „Die Frage ist, wie bekommen wir die Jugend dazu, mit langem Atem demokratische Prozesse zu begleiten?“, fragt er. Nur so könnten tragbare Entscheidungen für die Gesellschaft gefunden werden. Und je früher sie daran teilhaben würden, umso besser. Deswegen ärgert ihn der Satz von FDP-Chef Christian Lindner, Klimaschutz sei „eine Sache für Profis“.

Sich eine Meinung bilden zu können, sei Voraussetzung für eine Willensbekundung. „Wer nichts will, wird in einer Demokratie verlieren“, sagt Wolfgang Beutel. Dafür sieht er die Schule als wichtigen Raum.

Dr. Wolfgang Beutel
Dr. Wolfgang Beutel

Was Schule leisten kann und was nicht

Die Schule an sich ist in ihrer inneren Struktur nicht demokratisch, sondern ein beschränkter Rechtsraum, erklärt Dr. Wolfgang Beutel. „Der Unterricht schränkt die Bewegungsfreiheit ein. Der Lehrer hat die pädagogische Freiheit, nicht alles demokratisch abstimmen zu lassen, etwa wann er eine Prüfung macht“, sagt er. Man müsse sich klar machen, dass die Institution Schule den Unterricht nicht in erster Linie für die Kinder ausrichte, sondern für die Gesellschaft.

Demokratie ist nach dem amerikanischen Philosophen John Dewey aber auch eine „Form des Zusammen­lebens“. Zentral dabei sei die Eigenverantwortung, sagt Beutel. Der Einzelne sei Teil des Staates und müsse lernen, mit einer pluralen Gesellschaft umzugehen. Dazu gehöre auch die Globalisierung. „Es gibt kein Zurück zu überschaubaren Verhältnissen“, sagt er. Dies könne man auch in der Schulgemeinschaft erfahren, welche die Vielfalt der Gesellschaft abbilde.

Außerdem empfiehlt Beutel, außerschulische Aktivitäten zu stärken, sich etwa in der Gemeinde an Entscheidungen zu beteiligen. Beutel empfiehlt, die Schule als Ganzes zu betrachten, „nicht als eine Ansammlung von Fächern“. Dazu gehörten etwa auch die Schülervertretung, die sich über die Jahre weiterentwickelt habe und heute mehr diskutiere als Themen wie „Milchversorgung und Kultur“. Die Demokratieerziehung sei eine Schulentwicklungsaufgabe, die nicht nur auf ein Fach beschränkt sei: „Eine demokratische Atmosphäre begünstige den Lernprozess in allen Fächern.“ Wichtig seien auch fächerübergreifende Projektarbeit, AGs und außerschulische Angebote.zap