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Der Blitzableiter zwischen den FrontenAus dem Arbeitsalltag des Bürgerbeauftragten

Ruhestand Der erste Bürgerbeauftragte des Landes zieht Bilanz: Seit 2017 engagierte sich der Plochinger Volker Schindler für seine Mitmenschen – jetzt geht er in Pension. Von Claudia Bitzer

Eigentlich muss Mutter Natur einen großen Kübel Geduld über Volker Schindler ausgeschüttet haben. Denn der ehemalige Vizepräsident des Polizeipräsidiums Aalen hatte sich vor zwei Jahren mit fast 63 aus dem Ruhestand zurückholen lassen, um als erster Bürgerbeauftragter des Landes Baden-Württemberg ein offenes Ohr für die großen und kleinen Probleme seiner Mitmenschen zu haben. Wer das tut, der trifft aufs pralle Leben: auf ungerecht behandelte oder vom Amtsschimmel getretene Bürger ebenso wie auf gehetzte Menschen in psychischer Notlage. Oder auf notorische Nörgler. „Aber Letztere waren wirklich in der Minderheit“, zieht der heute 65-jährige Plochinger Bilanz. „Und meine Frau sagt immer: ‚Wenn Du auch nur zu Hause so viel Geduld hättest . . .‘“ Seit dem 1. Februar 2017 war er im Amt - Ende August hat er nun aufgehört und zog sich definitiv aus dem Berufsleben zurück. Nicht, weil er die Freude an seinem Amt oder die Geduld mit seinen Mitmenschen verloren hätte, sondern aus familiären Gründen.

Die Entstehungsgeschichte des Amts in Baden-Württemberg resultiert aus einem Beschluss der vormaligen grün-roten Landesregierung und hängt mit dem sogenannten „Schwarzen Donnerstag“ 2010 und dem gewalttätigen Vorgehen von Polizisten gegen die Stuttgart-21-Demonstranten zusammen. Die Grünen forderten einen Polizeibeauftragten, was die SPD wiederum nicht wollte. Der Bürgerbeauftragte als unabhängiger Ombudsmann, der die Stellung der Bürger im Verkehr mit den Behörden des Landes stärken soll, der Akteneinsicht anfordern kann, weisungsunabhängig ist, aber selbst keine Weisungen erteilen darf, war der Kompromiss. Ein Amt, das es zum Beispiel in Rheinland-Pfalz schon seit 44 Jahren gibt.

Der bedachte Vermittler

Als der Landtag Volker Schindler in sein Amt wählte, regierte schon Grün-Schwarz. Die Grünen hatten das Vorschlagsrecht - und Schindler hatte sich als stellvertretender Polizeipräsident von Aalen den Ruf erworben, bei Konflikten in der Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Ellwangen als besonnener Vermittler aufzutreten. Schindler selbst legt bis zum heutigen Tag Wert darauf, parteiunabhängig zu sein. Die Frage, ob er als pensionierter Polizeibeamter mit Bilderbuchkarriere bei Konflikten von Bürgern mit der Polizei und polizeiinternen Kreisen der Richtige für das Amt des Bürgerbeauftragten sei, ist ihm in nahezu jedem Interview gestellt worden. Er selbst hatte mit seiner Rolle dem eigenen Bekunden nach nie ein Problem.

Zudem betrafen nur rund 20 Prozent der Anfragen den Polizeibereich, so Schindler im Rückblick. Fast 500 Beschwerden sind 2018 in seinem Büro im Landtag eingelaufen - fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Seinerzeit musste er sich erst einmal bekannt machen. Die Themen gehen quer durch den Gemüsegarten. So verhalf er einer Witwe, deren Mann bei einer Kreuzfahrt starb, nach fast einem Jahr zu einer Sterbeurkunde für ihren Mann. Denn der Sterbeort war nicht dokumentiert, und der Bordarzt war nicht mehr greifbar. Der Bürgerbeauftragte bat die Reederei um die Positionsangaben des Schiffes zum Zeitpunkt des Todes. Damit ließ sich dann auch der Sterbeort rekonstruieren. Anderes Beispiel: Die Entscheidungshoheit des Gemeinderats ist für ihn zwar tabu, nicht aber die Umsetzung der Beschlüsse. So gelang es ihm in der Tat, dass ein überdimensioniertes Bauvorhaben in einem kleinen Ort, gegen das sich Nachbarn wandten, deutlich kleiner wurde.

Bürger zeigten sich dankbar

Deshalb ist Volker Schindler auch froh, dass ihn seit Sommer 2017 ein Verwaltungsbeamter, ein Jurist und eine Bürokraft unterstützten. Schindler: „Wir müssen nicht alles besser wissen als die Behörden. Aber wir müssen die richtigen Fragen stellen.“ Anfangs musste er den Ämtern noch erklären, wer er ist und dass sie ihm die Akten öffnen müssen. Aber generell sei die Zusammenarbeit sehr gut gewesen. Die Mitarbeiter hätten gemerkt, dass es ihm nicht darum gehe, sie in die Pfanne zu hauen. Schindler sah sich immer als Mittler zwischen den Fronten. In 20 Prozent der Fälle habe man dem Wunsch seiner Klienten entsprechen können. In der Vielzahl der Fälle sei es aber vor allem darum gegangen, ihnen den Bescheid und die Entscheidungswege erst einmal verständlich zu machen. „Und die Menschen waren einfach dankbar, dass man es ihnen erklärt hat.“

Ihm war immer wichtig, dass in den Fällen, in denen es einen Ermessensspielraum gibt, für und nicht gegen den Bürger entschieden wird. Dennoch konnte er nicht alle glücklich machen: Der Mann, der irgendwann einmal seine Urne auf seinem eigenen Grundstück bestattet haben will, muss derzeit noch in ein anderes Bundesland ziehen. So will es die Gesetzeslage in Baden-Württemberg. Und der Lehrerin, die aus gesundheitlichen Gründen zwangspensioniert wurde und dagegen klagt, konnte er auch nicht helfen - weil er nicht in schwebende Verfahren eingreifen darf.

Nachfolge ist noch offen

Für acht Jahre ist er eigentlich gewählt worden. Eines ist dennoch sicher: Trotz seines Rückzugs hat er für das Amt eine solide Grundlage gezimmert. Wer ihn beerbt, ist noch offen. Beate Böhlen, bisherige grüne Landtagsabgeordnete, Gemeinderätin von Baden-Baden und Vorsitzende des Petitionsausschusses, ist bei der Wahl zur Bürgerbeauftragten im Landtag kurz vor der Sommerpause im ersten Anlauf jedenfalls gescheitert.

Später Theaterbesuch: Vor vielen Jahren hatte ein Ehepaar zu seiner Trauung zwei Theaterkarten bekommen. 40 Jahre später entdeckten sie die Gutscheine wieder. Sie kamen aus dem damaligen Infokatalog der Landesregierung für junge Ehepaare unter dem Motto „Verliebt, verlobt, verheiratet“. Auf Nachfrage des Bürgerbeauftragten traf das Staatsministerium eine Absprache mit den Staatstheatern Stuttgart. Der Gutschein konnte in Eintrittskarten umgetauscht werden.

Erkämpftes Wegerecht: Eine Bürgerin schaltete den Bürgerbeauftragten ein, weil sie einen Fußweg zum Bodensee nicht mehr betreten dürfe. Die Kommune habe den Weg an einen Motorsportclub verpachtet, der ihn nun sperren wolle. Schindler teilte ihre Sicht, dass die Pachtfläche unter den Begriff der „Freien Landschaft“ falle. Er kontaktierte den Kreis, die Naturschutzbehörde teilte seine Einschätzung. Ihm wurde gesagt, dass man mit dem Verein eine Lösung finden werde.

Kein neues Gartenhaus: Ein Bürger wollte sein baufälliges Gartenhaus abreißen und behindertengerecht neu bauen. Aber es lag auf einer Waldlichtung und wäre heute nicht mehr genehmigungsfähig. Der Bürgerbeauftragte konnte den Wunsch des Mannes zwar verstehen, aber nicht unterstützen. Denn die Bauordnung lasse in derartigen Fällen nur zu, dass der ursprüngliche Zustand im Wege einer „Brett-für-Brett-Sanierung“ wiederhergestellt würde.

Als Lotse im Dienst: Eine Frau schilderte dem Bürgerbeauftragten, dass sie vor mehr als 30 Jahren als Reinigungskraft in einer Zahnarztpraxis mit Quecksilber in Berührung kam und seitdem unter schweren gesundheitlichen Problemen leide. Ihr ging es darum, dass dies als Berufsunfall mit Spätfolgen anerkannt wird. Der Bürgerbeauftragte war für dieses Anliegen zwar nicht zuständig, konnte die Dame aber an die Berufsgenossenschaft verweisen. cb