Weilheim · Lenningen · Umland

„Der Islam braucht eine Reformation“

Islamismus Besucher diskutieren mit dem Psychologen Ahmad Mansour über die „Generation Allah“.

Kirchheim. Wie fühlt sich ein 13-Jähriger, den der Imam in ein offenes Grab liegen lässt, damit er schon mal seine Zukunft fühlt? Mansour weiß es, er hat es selbst erlebt. „Das wird man nicht mehr los.“ Er weiß, wie Menschen mit Angst beeinflusst werden. Der arabische Muslim aus Israel war einst selbst Islamist, inzwischen betreut er als Diplom-Psychologe von Berlin aus über 300 Familien, deren Kinder sich dem radikalen Islam zugewandt haben. Mansours eigener Glaube hat eine Aufklärung durchlaufen. „Mein eigener Islam ist offen für Kritik, er macht mir keine Angst und anderen auch nicht“, sagt Mansour. Das wolle er auch über seinen christlichen Glauben sagen können, sagte Pfarrer Axel Rickelt bei der Begrüßung.

„Das ist ein Mann, dem wir zuhören sollten“, sagte Willi Kamphausen über Mansour. Er hatte vor einem Jahr vorgeschlagen, ihn einzuladen, das Evangelische Bildungswerk im Landkreis Esslingen tat es. Aktuell ist der gefragte Mansour kaum noch zu bekommen. Sein Auftritt bei freiem Eintritt wurde durch das „Demokratie leben!“-Programm des Bundesfamilienministeriums möglich. Co-Moderator neben Kamphausen war Yakub Kambir von der Sultan-Ahmed-Moschee.

Warum radikalisieren sich Jugendliche, warum werden sie zu Terroristen? Mansour nannte viele Ursachen. Zuerst die psychologischen: Da ist die fehlende Vaterfigur, wenn Jugendliche einen Ersatzvater suchen, der ihnen Halt gibt. Oder wenn sie gemobbt werden, den Übergang von der Schule in den Beruf nicht schaffen. „Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der die Einzigen, die das Fenster erkennen, in dem die Jugendlichen ansprechbar sind, die Radikalen sind.“

Dann gebe es soziologische Gründe, wenn Menschen auch nach vier Generationen noch nicht angekommen sind. Das betreffe aber nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund. Und es gebe theologische und ideologische Gründe. Zu den Begriffen, mit denen Mansour den Islamismus beschrieb, gehört der Buchstabenglaube. „Jugendliche lernen Texte auswendig, die sie nicht verstehen.“ Salafisten wollten, dass die Leute folgen, sie sollten keine eigene Meinung haben. „Jeder, der selbst denkt, wird nicht radikal werden.“

Hinzu komme eine Angstpädagogik, mit dem Tod als Instrument: „Dieses Leben ist nicht wichtig, heißt es, wichtig ist, was danach kommt.“ Das Leben, das doch Gottes Geschenk sei, werde verachtet. Mansour warnte davor, nur auf die Islamisten zu sehen, es gehe um „Inhalte, die im Mainstream-Islam verankert sind“. Wenn er sage, er sei Muslim und glaube nicht an die Hölle, treffe er auf entsetzte Gesichter. „Wir müssen mit Gott und seinen Texten streiten.“

In vielen Religionen werde die Sexualität kontrolliert. Kritisch sei, wenn es keinen normalen Umgang der Geschlechter gebe, wenn die Mutter klage: „Mein Sohn lernt mit Frauen und das will er nicht.“ Für Mansour ist es keinesfalls rassistisch, wenn ein Junge am Freitag wegen der Schulpflicht nicht mit dem Vater zum Freitagsgebet darf, die Tochter zum Schwimmunterricht muss, Kinderehen in Deutschland ungültig sind und Polygamie abgelehnt wird. „Was uns verbindet, ist keine Leitkultur, es sind die Werte des Grundgesetzes.“

In einer unfassbar komplizierten Welt wachse die Suche nach einfachen Antworten. In der Schule müsse über politische Themen geredet werden, etwa über die AfD und den Nahostkonflikt. „Die Lehrer werden von der Politik im Stich gelassen.“ Es mache uns Angst, über manche Themen zu reden, weil wir keine Rassisten sein wollen: „Wir sind gefangen in der political correctness.“

Nachdenken, den Glauben hinterfragen? Für Ahmad Mansour fordert der Koran dazu auf. „Der Islam braucht eine Reformation“, sagte der Psychologe. „Wir müssen das nicht wie im Christentum machen und brauchen keinen Luther. Wir müssen uns zum Teil von den heiligen Texten befreien und sie in ihrem lokalhistorischen Kontext verstehen.“ Er wird gefragt, ob er Hoffnung hat, dass das gelinge. „Ja, denn der Mensch hat die Sehnsucht nach Freiheit.“ Für Psychologe Ahmad Mansour ein ermutigendes Zeichen: Rund 300 Christen, Muslime und andere diskutieren ganz offen miteinander – in einer Kirche. Peter Dietrich