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Der Markt ist leergefegt

Qualifizierte Betreuer für Flüchtlinge zu finden, wird immer schwieriger

Der politische Wille ist vorhanden, das Geld auch. Doch im Kampf um eine bessere Betreuung von Flüchtlingen in den Sammelunterkünften gehen Verbänden wie der Arbeiterwohlfahrt (AWO) allmählich die Fachkräfte aus.

Ohne ihren Rat und ihre Unterstützung wären die meisten Asylsuchenden hilflos: Die Sozialarbeiterinnen der AWO sind zurzeit fast
Ohne ihren Rat und ihre Unterstützung wären die meisten Asylsuchenden hilflos: Die Sozialarbeiterinnen der AWO sind zurzeit fast rund um die Uhr im Einsatz.Foto: Carsten Riedl

Kirchheim. Wo sie auftauchen, werden sie umlagert. Für viele Flüchtlinge sind sie der einzige Halt in einer fremden Welt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AWO, die im Auftrag des Landkreises Esslingen die soziale Betreuung in den Gemeinschaftsunterkünften übernehmen, sind der wichtigste Baustein im System. Ohne sie kein reibungsloser Betrieb, ohne sie kein sozialer Friede.

Das ist längst auch in der Politik angekommen. Im Frühsommer hat der Esslinger Kreistag deshalb beschlossen, zusätzliches Geld für zusätzliches Personal vorzuschießen. Auf hundert Flüchtlinge sollte künftig eine Vollzeitkraft kommen. Bis dahin betrug der Schlüssel nur 1 zu 140. So weit die Theorie.

Auch ein halbes Jahr später ist man vom angepeilten Ziel ein gutes Stück weit entfernt. Anders ausgedrückt: Der Nachschub mit Fachkräften ist auf halber Strecke ins Stocken geraten. Zwischen 120 und 130 Flüchtlinge hat jede der überwiegend weiblichen Kräfte in Diensten der AWO noch immer zu betreuen. Die Mitarbeiterinnen sind hoch motiviert, doch schlicht zu wenige.

Julie Hoffmann, die bei der AWO den Sozialdienst leitet, kennt das Dilemma. „Wir führen wöchentlich mindestens vier Bewerbungsgespräche“, sagt sie. Das ist eigentlich eine Menge. Doch im selben Zeittakt kommen im Kreis Esslingen Woche für Woche 270 neue Flüchtlinge an. „Um mit diesem Tempo Schritt zu halten“, sagt Hoffmann, „müssten wir jede Woche knapp drei Vollzeitstellen neu besetzen.“ Das Problem: Der Markt ist leer gefegt.

Im Oktober noch sind zehn neue Kräfte hinzugekommen. Im Dezember ist es bisher eine. Über knapp 40 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Vollzeit verfügt der AWO-Kreisverband derzeit in der Flüchtlingsbetreuung. „In Esslingen und Kirchheim sind wir noch ganz gut aufgestellt“, sagt Julie Hoffmann, die diesen Job seit 25 Jahren ausübt. In der Kirchheimer Kreissporthalle sind zwei Betreuerinnen ständig präsent.

Dringender Personalbedarf herrscht vor allem im Raum Nürtingen und auf den Fildern. Eine Lage, die sich täglich ändern kann. Das Problem sind die Hallen mit bis zu 300 Flüchtlingen. „Sobald irgendwo eine Halle neu belegt wird, können wir unseren Betreuungsschlüssel vergessen“, sagt Hoffmann.

Was also tun? Ein Weg wäre: Sprechzeiten verkürzen, Angebote reduzieren. Die Zugangskriterien aufweichen, wäre die andere Möglichkeit. Sollte sich die Lage nicht entspannen, sagt Julie Hoffmann, werde man früher oder später auch auf andere pädagogische Berufe zurückgreifen müssen. Auf Erzieher beispielsweise oder Lehrer.

Ihr Grundsatz: Kompromisse bei Inhalten sind immer leichter zu verkraften als bei der persönlichen Eignung für diesen Job. Schulpädagoge und Sozialarbeiter sind eben zwei grundverschiedene Berufe. Hoffmann hat noch eine ganz andere Sorge: Sie fürchtet, dass die Fluktuation zunimmt, wenn die „Überzeugungstäter“ irgendwann weniger werden. „Davon sind wir bisher verschont geblieben“, sagt die 63-jährige Sozialdienstleiterin. „Ständigen Personalwechsel können wir uns bei dieser Arbeit nicht leisten.“ Die, die da sind, machen den Job aus tiefster Überzeugung. „Sie haben sich bewusst dafür entschieden und wissen, was sie erwartet“, sagt Julie Hoffmann. Die meisten werden in diesem Jahr auf ihrem Weihnachtsurlaub sitzen bleiben. Die Zuweisungen aus den Erstaufnahmestellen, das haben die Landesbehörden längst signalisiert, werden auch an Weihnachten und Neujahr nicht abreißen.