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Der Messerangreifer soll in der Psychiatrie bleiben

Justiz Der Staatsanwalt hält den 25-Jährigen, der ein Mädchen schwer verletzt hat, für psychisch krank. Der 61-jährigen Betreuerin machen die Vorfälle in der Ferienbetreuung weiterhin sehr zu schaffen.

Esslingen. Der Anlass für die Bluttat an einem Kind, die tödlich hätte enden können, ist erschreckend nichtig. Am Morgen des 10. Juni 2022 war ein mit einem Küchenmesser bewaffneter Mann in die Ferienbetreuung der Esslinger Katharinenschule eingedrungen. Dort stach er mehrfach auf den Hinterkopf und Nacken einer Siebenjährigen ein. Dabei verletzte er auch eine 61-jährige Betreuerin, die ihm das Mädchen entreißen und sich mit ihr in einem Büro einschließen konnte.

In seinem Plädoyer ging der Staatsanwalt davon aus, dass der Esslinger, der sich seit Januar vor dem Landgericht verantworten muss, den Angriff aus Wut auf seinen jüngeren Bruder plante und ausführte. So habe der Angeklagte seinem seit Langem aufgestauten Hass Luft machen wollen. In Rage habe den auffallend schmächtigen 25-Jährigen vor allem ein Nacktfoto gebracht, das der Bruder von ihm gemacht hat. Passiert sei das mindestens ein Jahr vor dem Angriff. „Das ihm unbekannte Kind war rein Mittel zum Zweck“, sagte der Staatsanwalt Thomas Hochstein, die Tat habe dem Bruder gegolten. Der Angeklagte habe ein Kind ausgesucht, weil es sich weniger wehren könne.

 

Der Angeklagte wollte töten, das war sein Plan.
Staatsanwalt Thomas Hochstein

 

Inspiriert habe den Angeklagten ein Amoklauf an einer Grundschule in Texas. Weil er in Deutschland keine Chance gesehen habe, sich eine Schusswaffe zu beschaffen, habe er für die Tat im Internet ein Messer mit einer 20 Zentimeter langen Klinge bestellt. Er habe laut Anklage dann recherchiert, wo sich Kinder aufhalten. Der 25-Jährige habe gehofft, dass er bei einem Polizeieinsatz getötet wird. Das hatte er in Vernehmungen gesagt. An dem Messer, das er bei seiner Flucht in einer Einfahrt abgelegt hatte, fanden die Ermittler zudem Zettel mit der Aufschrift „Schmeißt meine Asche weg“ und „endlich Ruhe“.

„Er hat nur aufgehört, weil die Betreuerin dazwischen ging“, ist Hochstein überzeug. „Der Angeklagte wollte töten, das war sein Plan.“ Wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung forderte der Staatsanwalt eine Gesamtstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten. Für den Angeklagten spreche aber, dass es seine erste Tat ist, er sich gestellt und umfassend gestanden hat. Die Anklage folgte der Einschätzung des psychiatrischen Gutachters und geht davon aus, dass der 25-Jährige seelisch krank sei und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Anteilen aufweise. Er sei eine Gefahr für die Allgemeinheit. „Es muss eine Kleinigkeit passieren und er greift wieder irgendwen an“, ist der Staatsanwalt überzeugt und forderte die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

„Die Tat ist an Widerlichkeit und Feigheit kaum zu überbieten“, sagte Anwalt Thomas Mende, der die Familie des Mädchens vertritt, in seinem Schlussvortrag. Die Höhe der Strafe stelle er in das Ermessen des Gerichts, ihm und seinen Mandanten sei die Unterbringung in der Psychiatrie viel wichtiger. Es sei 100 Schutzengeln und dem selbstlosen Eingreifen der Betreuerin zu verdanken, dass nicht noch Schlimmeres passiert sei.

Aus den Schilderungen der Mutter, die am Mittwoch als Zeugin aussagte, wurde deutlich, dass das Mädchen und die Eltern den Angriff gut verarbeitet haben. Der Krankenhausaufenthalt und die medizinischen Nachbehandlungen seien aber belastend gewesen, so die Mutter. Der 61-jährigen Betreuerin machen die Vorfälle in der Ferienbetreuung dagegen weiterhin sehr zu schaffen. „Die Bilder haben sich bei ihr eingebrannt, sie hat die Messerhiebe gesehen“, sagte die Verteidigerin, ihre Mandantin habe seitdem das Gefühl von Sicherheit verloren.

„Es war eine grausame Tat an einem unschuldigen Kind“, räumte der Pflichtverteidiger des Angeklagten, Ralf Mende, ein. Sein Mandant sei aber aufgrund seiner Krankheit schuldunfähig. Er forderte Freispruch. Es sei aber nachvollziehbar, dass der Angeklagte weiterhin in der Psychiatrie unterzubringen sei. Dies möchte der 25-Jährige selbst unbedingt verhindern. „Ich will lieber ins Gefängnis, ich bin nicht paranoid“, sagte er.

Ein Urteil wird für Mittwoch erwartet. Petra Pauli

 

Krankheit und strafrechtliche Folgen

Gutachten: Der Tübinger Psychiater Peter Winckler, den die 19. Strafkammer beauftrag hat, kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass der 25-Jährige „seelisch schwer gestört“ sei. Die Kriterien für eine schizophrene Psychose seien aber nicht erfüllt. Auffallend sei seine Emotionslosigkeit. Der Angeklagte habe ein pathologisch enges Verhältnis zu der Mutter und sich von der Welt abgeschottet. Die Tat habe er zwar genau geplant. Ausgeführt worden sei sie aber innerhalb eines „kranken Systems“, seine Steuerungsfähigkeit sei damit vermindert gewesen.

Strafe: Nach Paragraf 63 des Strafgesetzbuches kann das Gericht eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, wenn eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen wurde. pp