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Der Mixer, der Geschichte schrieb

Jubiläum Electrostar feiert 100-jähriges Bestehen. Das Familienunternehmen mit Wurzeln in Reichenbach hat eine schillernde Vergangenheit. Von Greta Gramberg

Ein reduzierter Markenauftritt in Rot und Grau, ein neuer Firmensitz, digitalisierte Arbeitsabläufe und Produktneuheiten: Starmix steht für Sauberkeit, Qualität und den neuesten Stand der Technik bei Spezialsaugern und Warmlufttrocknern für gewerbliche Kunden. Der Hersteller Electrostar in Ebersbach tritt erfolgreich, professionell, innovativ auf – aber dem ersten Anschein nach auch ein wenig nüchtern.

Dabei knallen dieses Jahr die Korken zum hundertsten Geburtstag der Traditionsfirma und der Blick schwenkt unweigerlich in die Vergangenheit – als das Starmix-Emblem, damals mit geschwungener Schrift auf hellblauem Hintergrund, in vielen Haushalten auf der ganzen Welt zu sehen war. Und mit viel Humor beworben wurde, etwa im Starmix-Song. Für Electrostar war es mit zeitweise mehr als 600 Mitarbeitenden vielleicht die erfolgreichste, sicher aber die schillerndste Zeit. 1948 war „der“ Starmix auf den Markt gekommen, die erste schnelllaufende Küchenmaschine, die zu einem der Symbole des deutschen Wirtschaftswunders wurde und den Markennamen aller künftigen Produkte aus dem Haus Electrostar begründete. Noch heute haben die Starmix-Haushaltsgeräte Fans, die sich in Internetforen austauschen und Ersatzteile suchen.

„Ich vermisse es sehr“, sagt Robert Schöttle, der frühere Firmenchef und heutige Beiratsvorsitzende, angesprochen auf die Stimmung und den Humor der damaligen Zeit. Von 1981 bis 2005 führte er die Geschäfte. Schon als Dreijähriger in der Fabrik als Nachfolger vorgestellt, habe er nie etwas anderes vorgehabt. Doch der Enkel des Firmengründers übernahm das Ruder in stürmischen Zeiten, ein Hauptkunde sprang ab. Die Belegschaft wurde von 400 auf 200 Mitarbeiter reduziert. Electrostar gab das Geschäft mit der „weißen Ware“, also den Küchenmaschinen, auf: Der Preisdruck war zu hoch geworden. Schöttle machte das Unternehmen „wieder handlicher“. Es kamen erfolgreiche Jahre. Dann weniger erfolgreiche. „Das zehrt an den Nerven“, sagt der heute 70-Jährige.

Anfang der 2000er sei die Leistungsfähigkeit von Electrostar und der Familie Schöttle, die immer wieder Privatvermögen ins Unternehmen investierte, sehr angespannt gewesen. Zu Weihnachten 2002 bekam Robert Schöttle Besuch von seinem Sohn Constantin und Roman Gorovoy. Die jungen Männer hatten sich im Internat Schloss Salem angefreundet. „Sie haben die entscheidende Frage gestellt: ‚Macht es dir noch Spaß?’ Und ich konnte voller Inbrunst sagen: ‚Nein!’“, erinnert sich Schöttle. Gorovoy schlug seinen Vater als strategischen Partner vor. 2003 übernahm dessen Algo-Gruppe 25 Prozent der Firma, der Anteil wuchs in den folgenden vier Jahren auf 100 Prozent und Roman Gorovoy übernahm schließlich die Geschäftsführung. „Die Entscheidung ist mir nicht schwer gefallen“, sagt Robert Schöttle. Die Firma konnte so aufgestellt werden, dass sie wieder zukunftsfähig war. Und die Familien Schöttle und Gorovoy seien sich bis heute verbunden. „Die Firma Electrostar ist noch immer ein Familienunternehmen.“

Für Roman Gorovoy, der mit Mitte 20 als Nicht-Schöttle und Nicht-Schwabe an die Electrostar-Spitze trat, eine herausfordernde Zeit, wie er gut 15 Jahre später sagt. Es habe sprachliche Verständnisschwierigkeiten aufgrund des Dialekts gegeben, einige Kunden und Lieferanten nahmen ihn nicht ernst. Zudem sei der Kulturunterschied spürbar gewesen: „Disziplin, insbesondere Pünktlichkeit, waren nicht meine Stärken. Dafür aber Kreativität und der Mut, Dinge zu hinterfragen.“ Unterstützt durch Robert Schöttle, einen Interimsgeschäftsführer und die Belegschaft gelang es dem Russen, die Firma von der Verlust- in die Gewinnzone zu bringen.

Sowohl die Unternehmenskultur als auch der neue Chef haben sich verändert. „Ein Mitarbeiter hat mich mal Sklaventreiber genannt, wegen meiner damaligen Eigenschaft, jeder verabschiedeten Aufgabe hinterher zu laufen und die Umsetzung zu kontrollieren“, sagt Gorovoy. Er habe gelernt, Verantwortung abzugeben, Mitarbeitern Vertrauen zu schenken. Man sei offener im Umgang miteinander und neuen Ideen gegenüber. Seit dem Umzug von Reichenbach nach Ebersbach 2019 duzen sich viele Mitarbeiter. „Früher waren doch erhebliche Zukunftsängste zu spüren, heute schauen wir mit Zuversicht in die Zukunft“, so Gorovoy. Wirklich gefeiert wird das Jubiläum Corona-bedingt erst 2022. Allerdings gibt es Online-Aktionen wie Videos der Mitarbeiter. Eine Jubiläums-Ausgabe des Starmix wird es – zum Leidwesen vieler Fans – aber nicht geben.

Wissenswertes

Die Anfänge 1921 gründete Robert Schöttle senior in Stuttgart die Elektrotechnische Spezialfabrik für Staubsauger und Gebläse, die später den handlicheren Namen Electrostar erhielt. Zur Produktion von Staubsaugern kam nach wenigen Jahren die von Warmlufthändetrocknern – Electrostar sieht sich als Erfinder dieser Apparate. 1928 zog die expandierende Firma nach Reichenbach. Der Sohn des Firmengründers und Vater von Robert Schöttle junior, Hans Schöttle, stieg in den 1940er-Jahren ins Unternehmen ein und übernahm nach dem Tod des Patriarchen gemeinsam mit seinem Schwager Peter Kotthaus die Geschäfte. Letzterer war für die humorvollen Werbekampagnen Electrostars verantwortlich. „Er hat die Lebenslust mitgebracht“, erinnert sich Robert Schöttle junior, der ab 1981 an der Firmenspitze stand. Seit 2007 ist Roman Gorovoy Geschäftsführer.

Prominente Kunden Unter den Electrostar-Haushaltsgeräten waren aus heutiger Sicht verrückte Produkte. Zum Beispiel die Piccolo-Modelle in den 1950er-Jahren, die Küchenmaschine, Staubsauger und Haartrockner vereinten. Sogar der spätere Bundeskanzler Willy Brandt soll einen „Piccolo“ gehabt haben. „Es war ein Sensationsgerät“, erinnert sich der frühere Electrostar-Chef, Robert Schöttle junior. Das war von Beginn an die Ambition von Firmengründer Robert Schöttle senior: „Mein Großvater legte großen Wert darauf, dass er kein schwäbischer Tüftler und Garagenerfinder war, sondern von Anfang an das Ziel hatte, Staubsauger in Serie zu produzieren.“ Der vielleicht größte Fan Patrick Jöckle aus der Südpfalz hat die Facebook-Seite „Der Starmix – Die Sammlerseite“ erstellt– eine Art digitales Museum, mit Humor und Liebe zum Detail. Seine Starmix-Geräte sind nicht nur Requisit für Retro-Fotografien, sondern werden auch genutzt – bis auf den Sauger Starboy: „Von ihm habe ich mich ein bisschen verabschiedet, weil ich beim Saugen immer niesen musste“, sagt Jöckle.

Electrostar heute Unter der Marke Starmix produziert die Firma unter anderem leistungsfähige Spezialsauger, Hände- und Haartrockner sowie neuerdings Desinfektionsspender. Seit Übernahme der Kirchheimer Firma Haaga gehören auch Kehrmaschinen zum Programm. Die Belegschaft ist von 95 Personen 2005 auf aktuell ungefähr 200 angewachsen. Der Umsatz von 20 Millionen im Jahr 2005 auf fast 41 Millionen Euro 2020 – ein coronabedingt leichter Rückgang im Vergleich zu 2019. In den nächsten zwei bis drei Jahren will Electrostar die 50-Millionen-Marke knacken. 2021 ist der Auftragseingang laut Gorovoy so hoch wie nie, allerdings ist auch das Ebersbächer Unternehmen von Rohstofflieferengpässen betroffen. gg