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Der Preis eines globalen Marktes

TTIP und seine Folgen: Journalist Andreas Zumach spricht im Kirchheimer Spitalkeller über geplante Handelsabkommen

Seit Monaten schwelt im Land die Diskussion um das geplante Handelsabkommen mit dem Kürzel TTIP. Was von den Befürwortern als Impuls für den Handel gefeiert wird, verdammen die Kritiker als Aushöhlung bestehender Standards und Beschneidung staatlicher Regulierungsmöglichkeiten. Am Montagabend sprach der Journalist Andreas Zumach im Spitalkeller die Folgen und Risiken von TTIP.

Der Andrang zum Vortrag von Andreas Zumach (rechts) über die geplanten Handelsabkommen war enorm.Fotos: Nicole Mohn
Der Andrang zum Vortrag von Andreas Zumach (rechts) über die geplanten Handelsabkommen war enorm.Fotos: Nicole Mohn

Kirchheim. TTIP – Transatlantic Trade and Investment Partnership ist ein Begriff, der bereits seit einigen Monaten durch die Schlagzeilen und politischen Talkshows der Nation geistert. Doch worum geht es eigentlich bei dem Handels- und Investitionsabkommen, das lange Zeit hinter verschlossenen Türen und weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit zwischen Washington und Brüssel auf Exekutiv-Ebene verhandelt wird? Für die Mehrheit der Deutschen ist TTIP bisher eher ein diffuser Begriff.

Kein Wunder also, dass der Andrang zum Infoabend des Kirchheimer Bündnisses gegen TTIP am Montagabend groß war. Zuhörer um Zuhörer drängte in den engen Keller, aus dem gesamten Haus mussten die Veranstalter Stühle und Hocker herbeischaffen. Am Schluss saß selbst auf den Tischen, auf denen eigentlich Unterschriftenlisten und Flyer liegen sollten, Publikum.

Zumach gibt zunächst einen Crash-Kurs zur Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit. Der Journalist, der unter anderem für die taz schreibt, skizziert im Schnelldurchlauf die Gründung der World Trade Organization (WTO), die drückende Dominanz der Industriestaaten und das Aufbegehren der Tigerstaaten, das schließlich 2001 zur Blockade weiterer Handelsabkommen führt. Mit dem nun in Verhandlung befindlichen Abkommen TTIP, CETA und TiSA versuchten nun die Industriestaaten an der WTO vorbei eine Öffnung der Märkte zu erzielen. Zölle sollen weiter gesenkt, Handelshemmnisse abgebaut werden. Und genau da sehen die Gegner von TTIP und Co die große Gefahr. Sie befürchten, dass die hohen Standards der EU, sei es bei Grenzwerten für Chemikalien oder bei Arbeitsschutzfragen, herabgestuft werden, sollte das Abkommen ratifiziert werden. Erklärungen Merkels, kein einziger europäischer Standard würde abgesenkt, sind in Zumachs Augen „eine glatte Lüge“. Denn zu 95 Prozent, so der Journalist, sind Grenzwerte und Normen in der EU weitaus höher als in den USA. Sollte gar das umstrittene Schiedsverfahren umgesetzt werden, gebe man den Global Playern eine Generalklausel in die Hand, mit der die Unternehmen gegen staatliche, kommunale und auf Länderebene beschlossene Regulierungen klagen können. Schon jetzt setzten Firmen mit Klagen und Schadensersatzforderungen unter Druck. Zumachs Beispiel: Philip Morris. Der Tabakkonzern klagte gegen Uruguay und Australien, weil diese die Vorgaben zum Nichtraucherschutz gesetzlich umzusetzen versuchten. „Neuseeland hat angesichts dessen auf ein ähnliches Gesetz gleich mal verzichtet“, zeigt der Journalist die Konsequenzen auf.

Dass TTIP durch die weitere Öffnung der Märkte die Wirtschaft ankurbelt, sei ebenfalls längst widerlegt. Er rechnet im schlimmsten Fall sogar mit Abwanderung von Stellen, wie schon nach dem Abschluss des Nordamerikanischen Handelsabkommen geschehen.

Noch gravierender schätzt Zumach die Folgen des TiSa-Abkommens ein, das derzeit ebenfalls auf den Verhandlungstischen liegt. Die geplante Liberalisierung der Dienstleistungen soll auch auf sensible Bereiche wie die Wasserversorgung oder Bildungseinrichtungen, Kinderbetreuung und das Gesundheitswesen Anwendung finden. Selektive Ausnahmen seien nicht möglich: „Alles gilt für alle gleich“, warnt er eindringlich vor den Folgen. So könnten beispielsweise Privatisierungen von Dienstleistungen der Kommunen oder der Wasserversorgung nach Inkrafttreten nicht mehr rückgängig gemacht werden. Umso unverständlicher für ihn deshalb die Tatsache, dass die deutsche Regierung über ihre Position in den Verhandlungen bisher schweigt.

Doch der öffentliche Druck erhöht sich immer mehr: Über zwei Millionen Unterschriften sammelte das Aktionsbündnis „Stop TTIP“. Auch die Gewerkschaften beziehen inzwischen deutlich Position gegen das Abkommen. Im Rahmen einer Großdemo am 10. Oktober wollen die Gegner in Berlin gegen TTIP und TiSA demonstrieren. Auch viele Kirchheimer werden dann darunter sein. „Der Bus startet um 2.45 Uhr am Ziegelwasen in Kirchheim“, wirbt Heinz Pötzl vom Kirchheimer Bündnis dafür, Flagge gegen TTIP zu zeigen. Zu spät ist es dafür aus Zumach Sicht noch nicht: „Jeder von uns kann dazu beitragen, dass sich die Informationen verbreiten: So rollt der Ball immer weiter“, so der Journalist.