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Der Umgang mit der Wirklichkeitinfo

Fabian Anselm Orasch und Max Leiß stellen ihre Werke in der Städtischen Galerie im Kornhaus aus

Die Werke der beiden Künstler sind noch bis Sonntag, 22. November, im Kornhaus zu sehen.Foto: pr
Die Werke der beiden Künstler sind noch bis Sonntag, 22. November, im Kornhaus zu sehen.Foto: pr

Kirchheim. „Ich war in einer großen Halle, und die Blätter drückten sich von außen gegen die Glasflächen“, erzählt der Künstler Fabian Anselm

Orasch. In der aktuellen Ausstellung in der Städtischen Galerie im Kornhaus in Kirchheim, die den Titel ­„double-crossed displays“ trägt und die er mit seinem Künstlerkollegen Max Leiß bestreitet, hat er aus diesem Eindruck ein Modell gebaut: eine Glasvitrine, in der eine Pflanze wächst, die im Laufe der Ausstellung das ganze Gefäß ausfüllen und zuwuchern soll.

In den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren wurde die internationale Kunstszene von zwei Generationen wilder Maler aufgemischt, die den Fokus vom US-amerikanischen auf den europäischen Markt verschob. Jahrelang war die individualistische bis egoistische Bilderflut allgegenwärtig, sodass man Mitte der 1980er froh war, plötzlich Werke einer Gegenbewegung mit ruhiger, klarer Ästhetik zu sehen. Teil dieser Bewegung war der Bildhauer Harald Klingelhöller, der seit 1993 eine künstlerische Professur für Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe innehat.

In der Städtischen Galerie im Kornhaus stellen nun mit Max Leiß und Fabian Anselm Orasch zwei ehemalige Studenten von Klingelhöller aus. Die Einführung wurde von Isabella Gerstner, die ebenfalls in der Klasse studiert hatte, gehalten. Wie geht nun eine neue Generation mit dieser Art von Kunst um? Wie verändern sich Zugänge und Gattungsgrenzen nach über 30 Jahren? Welche Einflüsse sind zwischenzeitlich dazugekommen?

Auf den ersten Blick bewegen sich alle Akteure auf sicherem Terrain, Gattungsgrenzen werden scheinbar nicht infrage gestellt. Fabian Anselm Oraschs Ausstellungsdisplay aus Stahlrohrgerüsten präsentiert Fundstücke und Materialzitate aus Kirchheim und Umgebung oder modellhafte Rekonstruktionen, die lokale Phänomene in der Ausstellung nachbilden. Es kann dabei die Fachwerksäulen des Kornhauses mit einschließen – oder eben auch nicht. Max Leiß‘ Objektplastiken aus Fachwerkholzbalken bleiben Ausstellungskunst als Plastik im Raum. Seine applizierten Leuchtkörper wirken entweder wie Design oder wie Fundstücke. Mit Raffinement werden unterschiedliche Bezüge zwischen den ästhetischen Phänomenen der Alltagswelt, des Kunstbetriebs sowie den Materialien und Perspektiven hergestellt. „Das Ausstellen wird ausgestellt“, sagte Isabella Gerstner in ihrer Einführung. Trotzdem bleibt dem Betrachter das Gefühl von Willkür und Beliebigkeit. Der Ortsbezug vermittelt kein neues Erkennen des Orts. Es handelt sich hier weniger um Site-specific-Art, die in die Rituale und Bedeutungszusammenhänge des Stadtraums eingreift. Was bei dieser Generation von Künstlern überrascht und auffällt, ist der Verzicht auf die Nutzung von digitaler Technik und die Präsentation über neue Medien. Es ist der Umgang mit der Wirklichkeit, die Strategien, der künstlerische Zugriff, der hier dem Internetzeitalter entnommen wird. Die Glätte der digitalen Ästhetik wird mit der Benutzung von herkömmlichen, realen Materialien aufgehoben.

Der deutsch-koreanische Philosoph Byung Chul Han schreibt in seinem Buch „Die Errettung des Schönen“: „Warum finden wir heute das Glatte schön? Über die ästhetische Wirkung hinaus spiegelt es einen allgemeinen gesellschaftlichen Imperativ wider. Es verkörpert nämlich die heutige Positivgesellschaft. Das Glatte verletzt nicht. Von ihm geht auch kein Widerstand aus. Es heischt like.“

Im Gegensatz dazu wird das stark Baumarkt-lastige Materialrepertoire von Max Leiß und Fabian Anselm Orasch zu abstrusen Installationen, die teilweise den Charakter von Sammelsurien vermitteln, zusammengefügt. Scheinbar beliebige Eindrücke auf Spaziergängen in Kirchheim, aber auch in Berlin oder auf der Schwäbischen Alb werden von den Künstlern nicht mit dem mühelosen Mausklick auf den „like“-button, sondern mit realen Materialien rekonstruiert und manifestiert. Sie holen die Strategien des „Gefällt mir“ in die schweißtreibende Wirklichkeit zurück. Die gleichen sägerauen Paneele, mit denen die Decke der Kornhausgalerie verkleidet ist, nutzt Max Leiß, um mit einem der Schaukästen den Durchblick im übertragenen Sinne zu verbarrikadieren.

Ebenso persiflierend erscheinen die Skulpturen von Leiß, der die militante Fachwerk-Gemütlichkeit des Stadtraums als invalide, labile Monsterskulpturen in den Ausstellungsraum holt. Das Material vermittelt so ein verdoppeltes ästhetisches Erleben, nur mit einer anderen Lage und Funktion im Raum, und bringt zusätzlich die Vergangenheit des Kornhauses als Heuschober ironisch zur Geltung.

Die Ausstellung ist noch bis Sonntag, 22. November, immer dienstags von 14  bis 17 Uhr, mittwochs bis freitags von 10 bis 12 und von 14 bis 17 Uhr sowie samstags, sonntags und an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr zu sehen.