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Der Verkehr in Weilheim lässt sich nicht vermindern

Mobilität Rund 30 Weilheimerinnen und Weilheimer waren zum Bürgerdialog in die Limburghalle gekommen. Sie brachten teils konträre Vorstellungen mit. Von Peter Dietrich

Angenommen, beim Bürgerdialog in der Weilheimer Limburghalle wären 30 Fahrradfreundinnen und -freunde unter sich gewesen – oder 30 Autofreaks. Sie wären sich beim Thema „Verkehr“ alle einig gewesen. Doch das war nicht der Fall. So waren auf den Pinnwänden der Arbeitsgruppen sehr unterschiedliche Wünsche zu lesen. Die Fragen lauteten: Soll das Städtle, autofrei werden? Oder sollen die Geschäfte mit dem Motorisierten Individualverkehr (MIV) direkt anzufahren sein?

Das ist ein klassischer Zielkonflikt, der auf der Suche nach gang- und fahrbaren Wegen klar benannt werden muss – um sich dann so zu einigen, dass alle damit leben können. Eine Fläche sei eben nur einmal da, sagte Stefan Wammetsberger vom Karlsruher Ingenieurbüro für Verkehrswesen Koehler & Leutwein. „Wir können nur einem etwas geben, wenn wir dem anderen etwas wegnehmen. Sonst müssten wir auf der grünen Wiese bauen, und das wollen wir nicht“, sagte er.

„Wo soll es hingehen? Zuerst brauchen wir eine Zielvorstellung, und daraus müssen wir Maßnahmen entwickeln“, ergänzte der Fachmann. Diese würden dann nach Zeitaufwand und Kosten sortiert. „Die schönsten Maßnahmen sind die, die schnell umsetzbar sind und viel bringen. Die versuchen wir zu finden.“

Was in den Gruppen diskutiert und notiert wurde, hat das Beratungsteam detailliert erfasst. „Wir nehmen alles mit“, versprach Stefan Wammetsberger. Dazu gehört auch die Frage eines Teilnehmers: Warum sind die oberirdischen Parkplätze am Marktplatz kostenlos, die Tiefgarage aber nicht – warum nicht umgekehrt? Für einen Schwaben, schrieb ein anderer, sei das der falsche Anreiz.

 

Wir fangen nicht bei Null an.
Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle

 

Bei derartigen Veranstaltungen gibt es oft zwei Arten von Teilnehmerinnen und Teilnehmern: Die einen sorgen sich nur für die Straße vor ihrem eigenem Haus, für ihr persönliches Anliegen, die anderen um das große Ganze. Die Weilheimer waren überwiegend aus letzterem Holz geschnitzt, wollen sichere Wege für Grundschüler und vieles mehr. Was die Ergebnisse einer Haushaltbefragung im Herbst 2022 angeht, sind die Weilheimerinnen und Weilheimer für eine Stadt ihrer Größe Durchschnitt. Zwei von drei Wegen entfallen auf den MIV, 21 Prozent aufs Fahrrad, neun Prozent werden zu Fuß zurückgelegt und nur vier Prozent mit dem Bus. 90  Prozent  der Befragten haben fürs Auto einen eigenen Stellplatz oder eine Garage – doch oft ist die Straße bequemer oder die Garage zweckentfremdet.

Stefan Wammetsberger betonte, der Durchgangsverkehr lasse sich lokal nicht vermindern, sondern nur verlangsamen oder umleiten. Doch es gebe genug Fahrten, die Ursprung und Ziel innerhalb des Ortes haben. Wo es in Weilheim hakt, das haben die Berater klar festgestellt: Teils sind Autos zu schnell unterwegs, teils ist die Infrastruktur überlastet, häufig müssten Radfahrer Straßen mit viel Autoverkehr benutzen, außerorts fehlten den Radverkehrsachsen sichere Querungen.

Doch es ist nicht alles schlecht. „Wir fangen nicht bei Null an“, betonte Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle. Er verwies auf die Neugestaltung des zentralen Bus­halts, das Stadtticket und die neuen Fußgängerüberwege, die 2023 installiert werden. „Das war ein reger Austausch, auf dem wir aufbauen können“, fasste er am Ende die knapp zweistündige Veranstaltung zusammen. Viele Teilnehmerinnen und Teilnhemer haben sich bereits für die Planungswerkstatt am Freitag, 28. April, angemeldet, doch es sind noch Plätze frei.

Hoffen auf die S-Bahn nach Weilheim

Beim Dialog ging es vor allem um den innerörtlichen Verkehr. Doch auch die Hoffnung auf die nach Weilheim verlängerte S-Bahn war Thema. Die seit einer Woche auf „YouTube“ verfügbare Präsentation der aktuellen Machbarkeitsstudie zeigt aber, dass dies die zweitbeste Lösung sein könnte.

Den mit Abstand höchsten „verkehrlichen Nutzen“ hätte eine Gesamtverbindung von Kirchheim nach Göppingen, die im neu zu bauenden Mittelteil von Weilheim nach Bad Boll als Stadtbahn nach „BOStrab“ gebaut wird.

Mit einem Kosten-Nutzen-Verhältnis von 0,83 bleibt diese Verbindung aktuell weit hinter der reinen S-Bahn nach Weilheim (1,47) zurück. Dies, macht Stefan Tritschler, Geschäftsführer des Verkehrswissenschaftlichen Instituts Stuttgart (VWI), im Vortrag deutlich, liege aber vor allem am teuren, 700 Meter langen Tunnel durch Bad Boll. Eine oberirdische Lösung sei dort schwierig, aber machbar, und lohne eine weitere Untersuchung. Auch eine Verknüpfung mit der Strecke nach Oberlenningen lohne eine Betrachtung, diese sei von der Region Stuttgart geplant. Beides zusammen könnte das Gesamtprojekt über die nötige 1,0-Bewertung heben.

Ein Güterverkehr nach Weilheim ist bei beiden Varianten – S-Bahn oder Stadtbahn – möglich. Vor der Einführung nach Weilheim könnte ein Gleis ins geplante Industriegebiet Rosenloh abzweigen.

Bei einer Verlängerung der S-Bahn nach Weilheim nach der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) wäre eine spätere Weiterführung als Stadtbahn definitiv tot, betont Stefan Tritschler. Erstens passe dieser Schritt technisch nicht, zweitens scheitere es auch noch an den Förderkriterien: Die beiden sogenannten Außenteile würden gebraucht, um den Mittelteil über das nötige Kosten-Nutzen-Verhältnis 1,0 zu heben, alleine schaffe er das nie. Ein Mittelteil nach EBO sei mit zwei Tunneln extrem teuer.

Egal ob als S-Bahn oder Stadtbahn: Die Strecke bis Weilheim könnte gleich schnell kommen, eine Fortführung als zweiter Bauabschnitt.

Eine Weiterführung der S-Bahn nach Weilheim, darauf weist der Lenninger Nahverkehrsberater Hartmut Jaißle hin, würde jedoch den Kirchheimer Anschlussknoten zerstören. Würde die S-Bahn aus Stuttgart allerdings sofort nach Weilheim weiter führen, wäre das für die aus allen Richtungen ankommenden Busse zu früh. Bei einem Stadtbahnkonzept mit den Endpunkten Oberlenningen-Göppingen funktioniere dagegen der Knoten.

Eine Stadtbahn ließe sich statt über den Halt an der Bohnau künftig durch die Kirchheimer Innenstadt führen – wo sehr viele Fahrgäste hin wollen. Auch eine Verlängerung in Oberlenningen in die Ortsmitte oder darüber hinaus wäre denkbar. pd