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Der VVS dreht an der Schraube

Nahverkehr Die Energiekrise zwingt auch Verkehrsbetriebe zu einer neuen Kostenrechnung. Ab 1. Januar sollen die Ticketpreise um 4,9 Prozent klettern. Von Bernd Köble

Fahrten mit Bus und Bahn dürften mit Beginn des neuen Jahres teurer werden. Nach dem Preisanstieg bei der Bahn im Fernverkehr will auch der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) seine Ticketpreise ab 1. Januar um 4,9 Prozent erhöhen. Je nach Tarif wären davon 60 Prozent der Fahrgäste betroffen. Drastische Kostensteigerungen für Energie und Personal machen nach Ansicht von Tarifverbund und Unternehmen diesen Schritt unumgänglich. Vor allem die Preise für Diesel und Bahnstrom sind in diesem Jahr mit rund 40 Prozent bei der S-Bahn und etwa 23 Prozent im regionalen Busverkehr förmlich explodiert. Zuletzt hatte der VVS erst im April seine Tarife um 2,5 Prozent erhöht.

VVS-Geschäftsführer Horst Stammler bezeichnete im Finanzausschuss des Kreistags die Entscheidung angesichts des Ausmaßes der Energiekrise als „moderaten Schritt“, den die fünf Partner-Landkreise im Tarifverbund allerdings mittragen müssen. Im Esslinger Ausschuss gab es dafür eine knappe Mehrheit aus Freien Wählern, CDU und FDP. Rein rechnerisch, so betonte Stammler, wäre sogar ein Prozent mehr an Preissteigerung möglich. Etliche Verkehrsverbünde lägen mit ihren Plänen deutlich darüber. Die Spanne reicht bis zu 9,9 Prozent. Der Verzicht auf eine Erhöhung würde dem Tarifverbund dauerhafte Mehrkosten von 24 Millionen Euro bescheren. Der Kreis Esslingen wäre demnach mit mehr als fünf Millionen Euro beteiligt.

Grüne, SPD und Linke lehnen ab

Doch ist eine Tarifanhebung zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt sinnvoll, solange im Bund über eine Nachfolge-Lösung für das Ende August ausgelaufene Neun-Euro-Ticket beraten wird, die ebenfalls zu Jahresbeginn kommen soll? Dann müsste ohnehin neu gerechnet werden. Gerade deshalb sei eine Tariferhöhung wichtig, betonte der Verbands-Geschäftsführer, weil darin Solleinnahmen enthalten seien, die für einen neuen Rettungsschirm im ÖPNV in den kommenden beiden Jahren dringend benötigt würden. „Der wird kommen“, ist auch der Esslinger Landrat Heinz Eininger überzeugt. Weil als Bezugsjahr für die aktuelle Erhöhung 2019 gilt, also das Jahr vor Beginn der Corona-Pandemie, seien Inflation und aktuelle Kostenentwicklung noch gar nicht eingepreist, stellte Eininger fest. „Solange nicht klar ist, wie ein neuer Rettungsschirm finanziert werden soll, müssen wir unseren Rahmen ausschöpfen.“

Eine Meinung, die längst nicht alle teilen. Grüne, SPD und Linke im Kreistag weigerten sich, die vorgeschlagene Erhöhung mitzutragen. Auch wenn die Rechnung nachvollziehbar sei, begründete Grünen-Fraktionssprecher Rainer Moritz seine Haltung. „Überall wird subventioniert. Es gerade dort nicht zu tun, wo ein wichtiger Beitrag zur Verkehrswende geleistet wird, halten wir für falsch.“ FW-Fraktionschef Bernhard Richter warf den Verweigerern im Gegenzug „Unredlickeit“ vor: „Sie sitzen in Berlin in der Regierung und könnten dort für die passenden Rahmenbedingungen sorgen, aber sie tun es nicht“, so Richters Attacke auf Sozialdemokraten und Grüne. Steffen Weigel (SPD) sieht seine Fraktion in der Frage, woher das Geld für den Ausbau des ÖPNV kommen soll, hingegen seit Jahren auf einem klaren Kurs: „Wir haben immer betont, dass es neue Finanzierungsströme braucht“, sagte Wendlingens Bürgermeister. „Für uns ist klar, dass sich der kommunale Steuerzahler an Verbesserungen beteiligen muss.“

Seit Jahren entzündet sich in der Kreispolitik ein Streit an der Frage, ob in erster Linie der Preis bei der Akzeptanz im ÖPNV eine Rolle spiele. Der Landrat hat da seine Zweifel. Der Erfolg des Neun-Euro-Tickets lasse sich nicht ohne Weiteres übertragen. „Das hat uns diesen Sommer auf attraktiven Strecken vor allem einen außerordentlichen Ausflugsverkehr beschert.“ Wie ein verbilligtes Ticket künftig aussehen könnte, sei zur Stunde völlig unklar, urteilt Stammler, der in der Experten-Kommission mit dem VVS beratend tätig ist. Er hält die Einführung eines 69-Euro-Tickets für die wahrscheinlichste Variante. Zu mehr dürften die drei Milliarden Euro, die sich Bund und Länder teilen, aus seiner Sicht kaum reichen.