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Der Waschbär kommt auf leisen Pfoten

Der pelzige Allesfresser findet im städtischen Raum einen reich gedeckten  Tisch  und  fühlt sich wohl

Im Klosterviertel lebt sich‘s nicht nur für Menschen gut – auch der Waschbär fühlt sich wohl. Doch nicht nur dort. Auch an vielen anderen Punkten der Kernstadt sowie in den Teilorten treibt er Erzählungen zufolge sein Unwesen. Der possierliche Allesfresser stört mitunter den Hausfrieden und passt eigentlich nicht ins Ökosystem.

Süß, aber mitunter ein Plagegeist: der Waschbär.Foto: dpa
Süß, aber mitunter ein Plagegeist: der Waschbär.Foto: dpa

Kirchheim. Mit seinen Greifarmen räumt der Waschbär Mülltonnen aus und stellt sich aus Essensresten ein schmackhaftes Menü zusammen. Die Gartenlaube funktioniert er in eine Behausung für seine Familie um, und auch für den Sperrmüll findet er Verwendung: Der Waschbär hat viele Ideen.

Der ursprünglich aus Nord- und Mittelamerika stammende Kleinbär, nachtaktiv und intelligent, hat seine ökologische Nische gefunden. So vermehrt er sich rasant: Deutschlandweit kommt er laut der jüngsten Datenerhebung des Wildtier-Informationssystems der Länder in knapp 12 000 von 25 000 Jagdrevieren vor – vor zehn Jahren waren es noch halb so viele. Am häufigsten ist der Waschbär in Hessen anzutreffen. Dort wird etwa ein Drittel aller Waschbären in Deutschland erlegt. Der Anteil Baden-Württembergs liegt bei weniger als einem Prozent.

Dennoch: Auch in der Region um die Teck werden Waschbären gejagt. Bernd Budde, Vorsitzender der Jägermeistervereinigung Kirchheim, fasst zusammen: „Wir wissen wohl, dass der Waschbär hier ist, wenn auch nur vereinzelt. Die Tendenz ist stark steigend – als Kulturfreund fühlt sich der Waschbär am Stadtrand wohl.“

Wächst der Bestand an Waschbären, dann hat das Auswirkungen auf das Ökosystem. Der bis zu zwölf Kilogramm schwere Allesfresser hat keine natürlichen Feinde, kann für andere Arten aber zur Bedrohung werden. Er besetzt mit Vorliebe Lebensräume und Brutplätze anderer Tiere, zum Beispiel die Baumhöhlen von Spechten oder Kleibern.

Dr. Wulf Gatter, Vogelkundler und Mitglied des Naturschutzbunds (NABU) Kirchheim weiß: „Der Waschbär ist bei Vogelschützern extrem gefürchtet. Bei Arten, die nur ein Jungtier pro Jahr aufziehen, kann er die Population ernsthaft bedrohen.“ So zu beobachten beim Schreiadler in Polen. Seine Greifarme machen es dem Waschbären leicht, Eier aus den Nestern zu stehlen.

Noch hält sich die Gefahr in der Region Kirchheim laut Wulf Gatter in Grenzen: „Viele der berichteten Fälle sind bloß Verwechslungen. Häufig werden buschige Katzen oder Marder für Waschbären gehalten.“ Doch völlig aus der Welt gegriffen seien die Erzählungen auch nicht: „An Vögel-Nistkästen haben wir in letzter Zeit eindeutige Spuren von Waschbärengefunden“, berichtet Wulf Gatter weiter, „kein Wunder – bei den für diese Jahreszeit ungewöhnlich milden Temperaturen halten die Tiere wohl eher keine Winterruhe.“

Mit der Jagd allein ist dem Waschbären nicht beizukommen: Vorsorge ist das Schlüsselwort. Wer sich den Störenfried vom Hals halten möchte, muss Haus und Garten für die Tiere möglichst unattraktiv gestalten. Das heißt: Mülltonnen dicht verschließen, Sperrmüll und Baumaterialien nicht offen lagern und, wenn möglich, auf Fassadenbegrünung verzichten. Denn Rank- und Kletterpflanzen sind für den Waschbären die perfekte Leiter. Er klettert die Hauswand empor und sucht sich ein Schlupfloch im Dach des Hauses. Daher ist es ratsam, in regelmäßigen Abständen das Hausdach auf Mängel zu überprüfen, um dem pelzigen Störenfried keinen Einlass zu gewähren.

Wo der Waschbär sich schon breitgemacht hat, kann man ihn mit ein paar Tricks und etwas Glück verscheuchen. Denn er ist bekannt für seinen stark ausgeprägten Geruchs-, Hör- und Sehsinn. Das kann man sich zunutze machen, indem man beispielsweise Mottenkugeln platziert, sein Versteck mit hellem Licht bestrahlt oder aber das Radio laut aufdreht.

Wie der Waschbär nach Deutschland kam

Ursprünglich stammt der Waschbär aus Nord- und Mittelamerika. Er gehört also zu den Neozoen, also zu den Tierarten, die vom Menschen in fremdes Gebiet gebracht wurden und sich dort etabliert haben. 1934 wurden unter Wilhelm Sittich Freiherr von Berlepsch am Edersee nahe Kassel in Hessen zwei Waschbär-Paare in die Freiheit entlassen. Dank idealer Bedingungen vermehrten sich die Tiere prächtig. Es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der deutschen Waschbären von diesen beiden Paaren abstammt. 1945 finden rund 25 weitere Exemplare aus einer Pelztierfarm nahe Berlin den Weg in die Freiheit – und legen damit den Grundstein für die Ausbreitung der Art in Ostdeutschland. 1960 wurde der erste Waschbär in Baden-Württemberg in Ludwigsburg beobachtet. Wenige Jahre später wurde auch in Sinsheim ein Exemplar gesichtet. 2014 befreite die Tierrettung auf dem Stuttgarter Messegelände einen Waschbären. Er war ein Abwasserrohr emporgeklettert und hatte sich auf einem Stahlträger verirrt. 2014 trafen den Pelzträger schwere Vorwürfe in Brandenburg: Aggressive Waschbären sollen vier Jagdhunde getötet haben, sagt Joachim Olbrecht, Präsidiumsmitglied des Landesjagdverbands Brandenburg. Tierschützer sehen in diesem Vorwurf einen Vorwand, die Jagd zu rechtfertigen.amb