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„Die Enkel vermissen wir am meisten“

Corona Angelika und Karl-Heinz Rauscher aus Wellingen halten zu den Familien ihrer Kinder per Videochat Kontakt. Die Großeltern fehlen bei der Betreuung. Von Anke Kirsammer

Videoanrufe mit den Kindern und Enkeln gehören für Angelika und Karl-Heinz Rauscher seit Wochen zum Alltag. Foto: pr

Das Schlimmste an der Krise? Angelika Rauscher aus Wellingen überlegt nicht lange. „Dass wir die Enkelkinder nicht sehen können“, sagt sie ohne zu zögern. Die beiden Älteren, Philipp und Helena, haben die Großeltern drei Monate nicht besucht. Im Februar ging es nicht, weil die Kinder krank waren, dann kam die Corona-Pandemie. Als Risikopatienten sehen sich die Mittsechziger Angelika und Karl-Heinz Rauscher nicht. Doch kümmert sich die Rentnerin regelmäßig um ihre Eltern. Sie macht Besorgungen und wäscht der Mutter die Haare - dass sie dabei einen Mundschutz trägt, versteht sich für sie schon seit Wochen von selbst. Auch für ihre Brüder und deren Familien ist klar, die hochbetagten Eltern brauchen zurzeit besonderen Schutz. Die Mutter feierte Anfang Mai ihren 92. Geburtstag. Ein großes Fest gab es nicht. Stattdessen hatten die Kinder, Enkel und Urenkel ein Transparent gemalt und Glückwünsche auf die Straße geschrieben.

Den sechsjährigen Philipp und die vierjährige Helena, die in Wangen im Allgäu leben, sehen Angelika und Karl-Heinz Rauscher normalerweise regelmäßig. Dann kommt der Sohn mit der Familie übers Wochenende nach Wellingen. Ist Not am Mann, setzen sich die Großeltern spontan ins Auto und fahren zu den Kindern. „Helena liebt es, wenn wir ihr vorlesen oder mit ihr spielen“, erzählt Angelika Rauscher. Philipp konstruiert für sein Leben gern. Eins der größeren Projekte, die er zusammen mit seinem Opa gebaut hat, war ein Boot mit Solar­antrieb. „Jetzt führt er uns seine Werke per Video vor“, sagt Angelika Rauscher. Für den Sechsjährigen zieht sich die „Krise“ schon so lange hin, dass er fürchtet, die Einschulung, die im September ansteht, verpasst zu haben.

Von Freunden und Nachbarn weiß das Ehepaar, dass viele Großeltern genauso unter der Distanz zu ihren Enkelkindern leiden wie sie. „In den Enkeln sieht man die eigenen Kinder nochmal. Das ist einfach etwas ganz Besonderes“, so beschreibt Angelika Rauscher die innige Beziehung.

Seitdem Besuche nicht möglich sind, unterhalten sich die Großeltern ein- bis zweimal pro Woche mit den Enkeln per Videochat. Wenn die Kinder das Bedürfnis haben, mit Oma und Opa zu sprechen, auch öfter. „Sich zu sehen und reden zu können, ist schöner, als nur zu telefonieren“, meint Angelika Rauscher. „Helena strahlt und verteilt Küsschen. Vom Telefon dagegen läuft sie oft weg.“ Der Austausch tut allen Generationen gut. „Nur hinterher bin ich meis­tens ein bisschen traurig“, sagt die 64-Jährige. Froh ist sie darüber, dass die Betreuung der beiden Enkel trotz geschlossenem Kindergarten gut klappt. Der Sohn und die Schwiegertochter, beide Diplomingenieure der Pharmatechnik, wechselten sich bislang mit dem Homeoffice und bei der Kinderbetreuung ab. Neuerdings hat die Schwiegertochter die Genehmigung, wieder über die Schweizer Grenze ins Büro zu fahren.

Gar nicht arbeiten kann derzeit die Tochter von Angelika und Karl-Heinz Rauscher, die in Neckar­hausen wohnt. Ihr Mann muss als Handwerker vor Ort sein, und die Tagesmutter fällt wie die Großeltern für die Betreuung des zweieinhalbjährigen Tom aus. „An die Familien denkt im Moment keiner, obwohl sie es doch sind, die den Laden am Laufen halten“, moniert Karl-Heinz Rauscher auch im Hinblick auf nach wie vor geschlossene Kitas und Schulen. Die Arbeit als Physiotherapeutin bedeutet für die Tochter einen Ausgleich für die Zeit zu Hause. „Ihr gehen die Ideen aus, um den Kleinen zu beschäftigen. Langsam fällt ihr die Decke auf den Kopf.“

Nach mehreren Wochen Enkelabstinenz hat die Familie deshalb beschlossen, ab und zu Besuche im Garten von Oma und Opa zuzulassen. Dadurch kehrt für alle wenigstens etwas Normalität zurück. Tom springt auf dem Trampolin, spielt und guckt nach den Hühnern, Häschen und Katzen. „Schwierig ist für uns, dass er zur Begrüßung immer gedrückt werden will und wir ihn jetzt auf Abstand halten müssen“, sagt Angelika Rauscher. „Ich mache mir einen Kopf, dass das unserem Verhältnis einen Knacks gibt.“ Ihr Mann ist entspannter. „Ich gehe davon aus, dass es nach Corona weitergeht wie vorher.“

In der vielen freien Zeit, die die Großeltern jetzt haben, frönen sie ihren Hobbys. Gemeinsam gehen sie raus in die Natur, Angelika Rauscher verschlingt noch mehr Bücher als sonst, und ihr Mann hat das Frühjahr ausgiebig zum Radfahren genutzt. „Die 3500 Kilometer habe ich voll.“ Den Kontakt zu Freunden und vor allem zu den Enkeln ersetzt all das nicht. „Auch die zwei Großen drängen darauf, uns endlich wieder zu sehen“, sagt die Oma. „Länger geht es nicht mehr.“ Geplant ist wenigs­tens ein eintägiges Zusammensein im Garten in Wellingen.