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Die erste Bratwurst stand für Freiheit und Zukunft

Wanderausstellung Menschen erzählen ihre Migrations-Geschichte. Heute: Said Amiri aus Afghanistan.

Said Amiri: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“Foto: N. Zumarán
Said Amiri: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“Foto: N. Zumarán

Kirchheim. An seine Ankunft in Westberlin erinnert sich Said Amiri noch gut - obwohl sie 55 Jahre her ist. „Ich bin damals über Taschkent, Moskau und Polen nach Berlin gereist“, erzählt der 80-jährige gebürtige Afghane, der seit 40 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Fast das Erste, was er nach dem Ausstieg aus dem Zug entdeckte, war eine Bratwurstbude. „Ich bin direkt hingegangen und habe mir eine Wurst gekauft. Sie schmeckte einfach wunderbar“, erzählt Amiri. Schon während seiner Zeit in Afghanistan hatten ihm deutsche Bekannte und Kollegen viel von dieser typisch deutschen Spezialität vorgeschwärmt.

Said Amiri ist 1937 in Kabul geboren und in einer Großfamilie aufgewachsen. „Damals gab es hervorragende Beziehungen zwischen Afghanistan und Deutschland“, erzählt er, der das ferne Land schon als Kind sehr interessant fand. In der Schule lernte er neben den Landessprachen Farsi und Paschtu auch Arabisch und Deutsch - und träumte davon, eine Ausbildung in Deutschland zu machen. Afghanistan, das damals eine Monarchie war, und das Leben in seiner großen Familie, in der der Großvater das Sagen hatte, hat er schon in jungen Jahren als sehr beengend empfunden. „Ich wollte so nicht leben, man konnte nicht frei reden und denken.“ Daher ergriff er kurz vor seinem Schulabschluss die Chance und heuerte als Auszubildender in einer Textilfirma in Gulbahar an. Der Betrieb arbeitete eng mit mehreren deutschen Unternehmen zusammen, sodass Said Amiri bald viele deutsche Bekannte hatte. Nach seiner Lehre zum Werkzeugbauer wechselte er zur Firma Siemens. Doch an der zweijährigen Militärzeit, die für jeden Afghanen Pflicht war, kam der junge Mann nicht vorbei. Dass er offen aussprach, was er dachte und sich nicht scheute, Kritik zu üben, hat ihm so manchen Ärger eingebracht.

Nach der Zeit beim Militär war Said Amiri wild entschlossen, nach Deutschland zu gehen. „Ich wollte etwas lernen, studieren, arbeiten“, sagt er, der überzeugt ist: „Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Wenn man will, kann man Tausende Dinge lernen.“ Seine erste Anlaufstelle war Köln. Dort arbeitete er bei einer Firma, die die Mosel für die Schifffahrt ausbaute. Zufällig lernte er dort beim Mittagessen einen anderen jungen Mann kennen, mit dem er Freundschaft schloss. „Seine Eltern sagten Sohn zu mir, ich hatte also gleich eine Familie.“

1964 fing Said Amiri bei einem Landmaschinenhersteller in Weilheim an. Im Schnellverfahren, so erzählt er, hat er sämtliche Abteilungen durchlaufen, dann reiste er mit Werksdelegierten zur Kundschaft und lernte Land und Leute kennen. Von Bayern bis Schleswig-Holstein war Said Amiri unterwegs, um Landwirte zu beraten und zu schulen. „Ich war in ganz Europa, in Chile, Nordafrika, Libyen und Pakistan. Zum Schluss war mein Einsatzgebiet der Nahe und Mittlere Osten mit den Schwerpunkten Iran, Irak und Syrien. Um Afghanistan habe ich einen großen Bogen gemacht.“ Nur einmal, im Jahr 2003, ist Said Amiri nach Afghanistan zurückgekehrt. „Ich wollte wissen, wie es läuft.“ Viel Zerstörung hat er gesehen, von den Orten seiner Kindheit ist wenig übrig geblieben.

Seit er Rentner ist, hält Said Amiri Vorträge über Afghanistan, zum Beispiel an Schulen. Seit fast 20 Jahren engagiert sich der zweifache Vater, der 1970 eine Schwäbin geheiratet hat, im Arbeitskreis Asyl der Stadt Kirchheim. Für sein großes Engagement hat er das Bundesverdienstkreuz bekommen. Kontakte seien unglaublich wichtig für die Integration, betont Said Amiri: „Und die bekommen die Leute nur, wenn sie arbeiten gehen.“ Er begleitet Asylbewerber auf Ämter, klärt sie über die Rechte der Frauen in Deutschland auf, unterstützt sie und nimmt sie auch mal ins Gebet: „Als älterer Herr werde ich akzeptiert, die Leute lassen sich von mir etwas sagen. Ich sage ihnen: ‚Lernt etwas, nutzt die Zeit.‘“ pm

Diese Geschichte ist Teil der Wanderausstellung „Angekommen“, die am Freitag um 16 Uhr im Kirchheimer Rathausfoyer eröffnet wird und bis zum 23. November dort zu sehen ist. Dargestellt werden Schicksale von Menschen, die ihre Geschichten von Flucht und Ankommen erzählt haben.