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Die Herzogin bittet zum Spaziergang

Selbst ist die Frau – Henriette von Württemberg prägte Kirchheim wie keine andere

1857 starb Herzogin Henriette, Gemahlin des Herzogs Ludwig Friedrich Alexander von Württemberg, im Kirchheimer Schloss. Ihr Tod erschütterte die Bürger, doch sie hinterließ Spuren in ganz Kirchheim. Seit 25 Jahren erweckt Ruth Mössner die Herzogin wieder zum Leben. Beim Spaziergang schwelgt die Herzogin in Erinnerungen und wirft einen Blick auf das „neue“ Kirchheim.

Henriette hat noch heute viele Bewunderer. Dank Ruth Mössner kann man die Herzogin immer wieder in der Stadt treffen.  Foto: Jea
Henriette hat noch heute viele Bewunderer. Dank Ruth Mössner kann man die Herzogin immer wieder in der Stadt treffen. Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. „Schaut euch mein Schloss an, dieser Anblick!“ Vor den Toren ihrer alten Residenz stellt die Herzogin fest: „Es gibt ja jetzt elektrisches Licht und die Räume werden beheizt.“ Kalte Füße und mehrere Lagen aus Gewändern sind nun nicht mehr nötig. „Ich lebte zuerst mit meinem Mann und den Kindern hier und dann für 40 Jahre als Witwe mit meinem Gefolge. Die Wintertage waren kalt, ohne einen Partner zum Wärmen.“ Und da strömen auch schon zahlreiche angehende Lehrer aus dem Pädagogische Fachseminar ins Schloss. Der Wohltäterin Kirchheims geht das Herz auf: „Für mich stand soziales Engagement immer an erster Stelle. Dass nun in meinem Schloss Lehrer ausgebildet werden, um ihren Mitmenschen etwas beizubringen, freut mich.“ Ausbildung, ein wichtiges Thema für Herzogin Henriette. Kirchheims Wohltäterin engagierte sich, wo sie nur konnte, auch mal mit einer Spende für die Ausbildung von drei jungen Feuerwehrmännern.

Das Frauenstift, die Töchterschule und Pflegeeinrichtungen wie zum Beispiel die Paulinenpflege und das Henriettenstift – Bedürftigen zu helfen, machte sich die Prinzessin von Nassau-Weilburg zur Aufgabe. Bedürftig, das sind auch die zahlreichen Flüchtlinge in Kirchheim und Umgebung. „Es freut mich, dass Kirchheim diesen armen Menschen Obdach gibt“, erzählt sie mit einem Lächeln. Damals sammelten wir durch Basare Spenden für Arme, Krankenhäuser und jegliche Einrichtungen, sagt die Herzogin von Württemberg.

Ein Handyladen reiht sich heute an den nächsten in den Straßen Kirchheims. „Wozu braucht man denn diese neumodischen Geräte?“ Wollte man damals miteinander kommunizieren, nahm man Briefpapier und Stift zur Hand. „Meine Kinder waren über ganz Europa verstreut, wollte ich mit meiner geliebten Maria Dorothea in Kontakt bleiben, so trat mein Brief die lange Reise nach Ungarn an.“ Diese schöne Art und Weise sich auszudrücken, geht laut Herzogin Henriette immer mehr verloren. „Man lebt heutzutage viel zu sehr für sich selbst, anstatt miteinander.“

Beim Spaziergang durch den Schlosspark schwelgt die Herzogin in Erinnerungen: „Ach, wie gerne meine Kinder in der freien Natur gespielt haben!“ In diesem Moment jedoch ist der Park fast menschenleer und Kinder sucht man vergeblich. Gameboy, Playstation und Co. gehören nun zu den beliebten Freizeitaktivitäten. „Kommt raus aus den vier Wänden und geht ins Freie!“, appelliert Herzogin Henriette an den Nachwuchs. „Es ist traurig, zu sehen, dass unsere Sprösslinge ihre Fantasie und das handwerkliche Geschick verlieren“.

Sich ausleben und seinen eigenen Stil finden – Mode macht es heutzutage möglich. Auch die Kirchheimer tragen bauchfrei, präsentieren stolz ihre leuchtenden Nike Air und färben sich die Haare in den Farben des Regenbogens. Bescheidenheit, das war der Herzogin höchstes Gebot. Werktags trug sie ganz einfache Gewänder mit Strohhüten oder Leinenhauben. An Sonntagen zog sich die Herzogin dann auch ein wenig pompöser an. „Ich verstehe, dass man immer modisch gekleidet sein will. Aber Kleidung im Überfluss, das muss doch nicht sein“, stellt sie beim Anblick der zahlreichen Kirchheimer Modegeschäfte fest.

Eine Plastik von Fritz Melis schmückt die Wiese direkt neben dem Schloss. „Moderne plastische Kunst? Undenkbar zu meiner Zeit!“, sagt die Herzogin empört. „Landschaften schmückten unsere Räume.“ Ein Stück Natur in das eigene Heim zu bringen, das war ihr Ziel. „Unser Schlossmaler Harper malte uns die schönsten Landschaftsbilder.“ Doch für Melis‘ Plastik, einer Gans, die nicht naturgetreu abgebildet wird, hat die Herzogin nichts übrig.

Und zum Abschluss des Spaziergangs durch Kirchheim, gibt es dann im Café Moser ein Stück der heiß geliebten Henriettentorte. Nach über 150 Jahren können sich die Kirchheimer wieder an der Schokoladentorte erfreuen. Zu lange lag das Rezept verstaubt im Schrank. „Ich freue mich, dass auch die Kirchheimer wieder in den Genuss dieser leckeren Torte kommen können“, betont Herzogin Henriette. „Jedes Jahr zu meinem Geburtstag ließ ich mir von dem Bäcker Heinrich Wilhelm Karl Ulmer diesen Traum aus Schokolade backen.“ Da sieht man einmal: auf Süßigkeiten konnte man auch damals schon nicht verzichten.