Reger Luftverkehr herrscht rund um den Dettinger Kirchturm. Falken und Dohlen ziehen hier dieses Jahr ihren Nachwuchs in friedlicher Co-Existenz auf. Das war nicht immer so. Wilde Luftkämpfe fanden über der Ortsmitte statt. Selbst im Holzkasten hoch über der Turmuhr kam es zu dramatischen Szenen und erbitterten Kämpfen um den begehrten Nistplatz. Messerscharfe Krallen und spitze Schnäbel kamen zum Einsatz. Auf einem Foto ist zu sehen, wie im Holzkasten ein Falke eine Dohle auf den Rücken drückt, den Kopf fest mit seinen zwei Krallen umklammernd. Der Falkenpartner sitzt gleichzeitig auf dem Bauch der zweiten Dohle, die sich mit aufgerissenem Schnabel zu wehren versucht. Zur Verwunderung von Heinz Schöttner vom Nabu Dettingen gewannen die Dohlen schließlich das Gefecht. Die Falken mussten ihr angestammtes Brutrevier verlassen. Wie wehrhaft die Krähenvögel sind, dokumentiert ein weiteres Foto aus Schöttners Sammlung: Der Falke liegt auf dem Rücken, die Dohle bedrohlich über ihm.
Heinz Schöttner ist so etwas wie der gute Geist der Vögel im Turm des Dettinger Gotteshauses. Seit Jahren kümmert er sich mit der nötigen Distanz und viel Herzblut um die faszinierenden gefiederten Geschöpfe. „Jetzt ist es endlich wieder so, wie es war - so als ob nichts gewesen wäre. Die Falken haben wieder ihren alten Platz eingenommen“, strahlt er und ist zufrieden. Die Dohlen sind mit der Aufzucht schon durch, ihre Küken flügge. Die Falken-Nachbarn sind dagegen noch ordentlich am Futter anschaffen, vier Flaumbällchen sind im „Kasten Ost“ dicht an dicht gedrängt, daneben liegen zwei tote Rötelmäuse. Für die nächste stärkende Mahlzeit ist schon gesorgt.
Die Turmfalken haben in der Dettinger St. Georgskirche seit 1985 eine Heimat gefunden. Walter Steck, ein Nabu-Kollege, hatte damals eine Nesthilfe für die Vögel gebaut. Im Jahr 1993 zog Heinz Schöttner mit seiner Familie nach Dettingen. Dank der Mesnerin gelangte er eines Tages in den Turm. „Es war das erste Mal, dass ich einem Falken so nahe gekommen bin“, erzählt er mit einem Leuchten in den Augen. Der Funke war übergesprungen, eines Tages übernahm er das Werk von Walter Steck - und ist jetzt der Dettinger Falkenvater.
Deshalb passte es ihm gar nicht, als „seine“ Falken vor rund sechs Jahren den Kürzeren gegenüber den Dohlen gezogen haben. „Der März ist der Kampfmonat. Da wird entschieden, wer welchen Platz nehmen darf“, beobachtete er. Zwei Herzen schlugen in der Brust des Vogelfreunds. Er sann nach einer Lösung und baute weitere Nistkästen, die er hinter den schießschartenähnlichen Öffnungen über den Turmuhren installierte. „Ich wollte für beide Platz schaffen. Die Dohlen sind immer mehr geworden, aber die Falken sind doch unsere Stars“, erzählt er. Das verdanken die Dettinger Greifvögel einer Webcam. Selbst in den USA haben sie Fans. „Aus Norddeutschland habe ich einen Anruf erhalten. Eine ganze Familie sitzt dort morgens vor dem Bildschirm und schaut den Tieren zu“, freut er sich. Diesen internationalen Ruhm haben die Falken Mesnerin Eva Lauk zu verdanken. Die sagte eines Tages zu Heinz Schöttner: „Es wäre schön, wenn wir eine Kamera im Nest drin hätten.“ Die Idee ließ ihn nicht mehr los. Vor rund zehn Jahren lernte er Marin Braun, einen jungen IT-Techniker kennen. Der ließ sich begeistern und verlegte mit drei Freunden Dutzende Meter Kabel ab der Telefonanlage. „Den ganzen Turm hoch ist es Glasfaser. So kann kein Strom geleitet werden. Sollte der Blitz einschlagen, wird die Telefonleitung nicht zerstört“, freut sich Heinz Schöttner über diese besondere Errungenschaft. Einzig das Mikro fehlt ihm noch. „Ich hätte gerne Ton“, sagt er.
Dank der zusätzlichen Nistkästen brüten die Falken lediglich mit ein oder zwei Unterbrechungen im Dettinger Kirchturm, denn die Rechnung von Heinz Schöttner ging auf. Allerdings musste er den Holzkasten auf der nordwestlichen Seite abmontieren. Dort befindet sich ein Kircheneingang - und die Hinterlassenschaften aus der Luft waren für die Kirchgänger kein ungetrübter Quell der Freude.
Die Falken zogen mehrmals um, heuer sind sie erstmals wieder in ihrem angestammten „Ostflügel“. Die Falkenfrau hat einen fürsorglichen Partner gefunden. Er überwacht die Sicherheit des Nest vom Turm aus und ist sich auch nicht zu schade, für Futternachschub zu sorgen. „Die zwei passen gut zusammen, sie harmonieren schön. Er ist ein fleißiger Familienvater. Das machen nicht alle so toll, viele drücken sich“, musste Heinz Schöttner beobachten. Die Jagd auf Beute ist für die Falken anstrengend, vor allem wenn sie „rütteln“, also in der Luft stehen bleiben, um sich dann pfeilschnell auf die Beute hinabstürzen zu lassen. „Oft kommt die Maus mit dem Leben davon, es ist gar nicht einfach, sie zu fangen“, erzählt er. Die Nahrung der Falken besteht vorwiegend aus Mäusen, es finden sich aber auch Eidechsen, Spatzen oder Maulwurfsgrillen im Nest.
Zu Beginn der Beziehung überreichen die Männchen Brautgeschenke. „Da werden meist Mäuse angeschleppt. Das soll wohl zeigen: Schau, wie lässig ich eine Familie unterhalten kann“, meint Heinz Schöttner augenzwinkernd. Die Brutzeit dauert etwa 28 bis 30 Tage, dann schlüpfen die Küken. „Nach drei bis vier Wochen beginnt eine spannende Zeit, die Kleinen werden flügge und üben in den Kästen, mit den Flügeln zu schlagen.“ Das geht nicht immer gut, weshalb es einmal zu einer aufregenden Rettungsaktion kam. Als Heinz Schöttner eines schönen Tags vom Ausflug zurückkehrt, wird er schon aufgeregt erwartet. Die nicht flugfähigen Jungtiere waren aus dem Nest gefallen. Drei überlebten den Absturz: Eines wurde von der Feuerwehr aus der Dachrinne gefischt, eines sammelte Heinz Schöttner im Pfarrgarten auf, das dritte hinter der Alten Schule. „Eines hat den Absturz nicht überlebt - es wurde von der Nachbarskatze gefressen.“