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Die Leere nach dem großen Ansturm

Ehrenamt Die Mitarbeiter des Arbeitskreises Asyl in Dettingen haben weiterhin Kontakt zu vielen weggezogenen Flüchtlingen. Die Angebote bestehen weiterhin, auch wenn die Nachfrage nicht mehr so groß ist. Von Iris Häfner

Die Betten in der Dettinger Zelthalle werden nicht mehr gebraucht. Inzwischen ist sie ganz abgebaut.Foto: Carsten Riedl
Die Betten in der Dettinger Zelthalle werden nicht mehr gebraucht. Inzwischen ist sie ganz abgebaut.Foto: Carsten Riedl

Das große Zelt ist leer, die Bewohner sind ausgezogen und haben nun ein festes Dach über dem Kopf. In Oberlenningen lebt ein Großteil der Flüchtlinge, die viele Dettinger in ihr Herz geschlossen haben. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge haben die Mitglieder des Arbeitskreises Asyl ihre Schützlinge verabschiedet. Freude herrscht darüber, dass die äußerst beengten Zelt-Zustände nun der Vergangenheit angehören. Doch im Laufe der Monate sind Beziehungen entstanden, und so blieb der Abschiedsschmerz auf beiden Seiten nicht aus.

Eine gewisse Entspannung ist in Dettingen eingetreten. „Den Bedürfnissen der jungen Leute konnte man bei der großen Menge nicht gerecht werden“, sind sich Uscha Raichle und ihre Mitstreiter bewusst. Doch die Ehrenamtlichen waren schnell strukturiert und arbeiteten nach einem Stufenplan. Nach dem Kennenlernen ging und geht es schon zur Sache. Schul- und Berufsqualifikation werden festgestellt, ebenso Sprach- und Lesekenntnisse. Manche der Schutzsuchenden sind Analphabeten, andere kennen nur die arabische Schrift, ihnen wird die lateinische Schrift beigebracht. Im nächsten Schritt suchen die Ehrenamtlichen Arbeit - meist Ein-Euro-Jobs - für die Flüchtlinge. Sie helfen bei den Lebensläufen und stellen Kontakt zu Schulen, Kirchen oder Vereinen her. Außerdem bieten sie Sprach- und Mathematikkurse an. Sind die Deutschkenntnisse ausreichend, geht es in die nächste Stufe und damit um Praktika oder Arbeitsstellen mit Mindestlohn, beispielsweise im Krankenhaus, in Seniorenheimen oder Schulen. Die Ehrenamtlichen helfen bei den Hausaufgaben, gehen mit auf Ämter. „Vieles ist wie selbstverständlich gelaufen. Die Flüchtlinge kannten sich in Dettingen aus und wussten, wo und an wen sie sich hinwenden können“, sagt Uscha Raichle.

Komplett ist der Kontakt zu vielen der einstigen Schützlingen jedoch nicht abgebrochen, die Flüchtlinge greifen noch gerne auf die Hilfe aus Dettingen zurück. WhatsApp ist eine beliebte Kommunikationsform, ein „How are you“ leuchtet immer wieder auf. Es werden Einladungen ausgesprochen oder Fragen zum Alltag und der Bewältigung der Bürokratie gestellt. „Kirchheim ist gut organisiert, Nürtingen scheint sehr überlastet zu sein. Die Genehmigungen dauern viel länger“, bedauert Uscha Raichle, und Hermann Pölkow kritisiert die aufgesplittete Bürokratie in Deutschland. Für gewisse Bereiche sind die Kommunen zuständig, dann wiede­rum das Land oder der Landkreis. Auch das Jobcenter hat ein Wörtchen mitzureden, es bezahlt beispielsweise die Miete. Weil in den Callcentern ständig jemand anderes am Telefon ist, wird manches erschwert. „Einem Asylbewerber wurden sechs Wochen Gefängnis angedroht, weil die Miete nicht bezahlt wurde“, erinnert sich Uscha Raichle an die daraus resultierenden Nachteile, und Hermann Pölkow ergänzt: „Das ist sehr, sehr nervig.“

Gerne hätten die Ehrenamtlichen „ihre“ Flüchtlinge behalten. „Jetzt haben wir ,nur‘ noch zwischen 60 und 70, und es werden immer weniger“, sagt Uscha Raichle. Hermann Pölkow sieht den AK Asyl als Durchlauferhitzer, was für die Motivation der Helfer nicht unbedingt förderlich ist. „Sobald die Flüchtlinge anerkannt sind, sind sie weg“, verdeutlicht er die Problematik. Viele Asylbewerber wollen in Dettingen bleiben, nicht selten bestehen private Beziehungen.

Einige kommen öfter zurück

Für die „Gruppe Freizeit“ gibt es nicht mehr viel zu tun - allein schon wegen der geringen aktuellen Zahl an Flüchtlingen. „Wir hatten großes Herzbluten bei der zweiten und dritten Wegzugswelle. Darunter waren auch Familien mit Kindern“, sagt Christine Wolfinger. Die Kleinen waren schon im Kindergarten oder in der Schule integriert, ebenso im Sportverein. „Sie werden jedes Mal rausgerissen im Integrationsprozess und müssen woanders neu anfangen“, bedauert sie. Familien einzugliedern ist für die Ehrenamtlichen aufwendiger als Einzelpersonen. Vor allem, um mit Frauen in Kontakt zu kommen, braucht es Vertrauen und damit Zeit, um gegebenenfalls auch kritische und persönliche Themen wie Sexualität ansprechen zu können.

Regelmäßig kommen die „alten“ Flüchtlinge zu Veranstaltungen nach Dettingen, nicht selten sind sie in der Überzahl, denn die Beziehungen zu den „neuen“ müssen erst noch gedeihen. Und wenn am Ende tatsächlich die Abschiebung für einen Flüchtling ansteht, sieht Uscha Raichle immerhin einen kleinen Silberstreif am Horizont: „Dann war unsere Arbeit eine Art Entwicklungshilfe, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren. Es ist nichts verloren, ihre Sprachkenntnisse können sie vielleicht im Tourismus anwenden.“