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Die traurige Geschichte einer Flucht

Autobiografie Der Gambier Lamin erzählt von seiner Ankunft in Deutschland, seiner Ausbildung zum Altenhilfepfleger und seiner Illegalität. Von Iris Häfner

Uscha Raichle und David Hofmann präsentieren die Geschichte von Lamin im Dettinger Buchcafé. Foto: Jean-Luc Jacques
Uscha Raichle und David Hofmann präsentieren die Geschichte von Lamin im Dettinger Buchcafé. Foto: Jean-Luc Jacques

Ob diese Geschichte ein Happy End haben wird, steht in den Sternen. Dabei sah es irgendwann einmal danach aus, als ob Lamin seinen Traum leben könnte: Arbeit in Deutschland finden und fernab der Heimat sicher leben. Geflohen war er aus dem afrikanischen Gambia. Im Sommer 2016 kam er ins Land, Karlsruhe war seine erste Station. Gestrandet ist Lamin schließlich in Dettingen, wo er zunächst in einem gro­ßen Zelt mit vielen anderen untergebracht war. Eines Tages traf ihn dort Uscha Raichle an, die sich wie so viele andere ehrenamtliche Helfer um die Integration der meist jungen Männer kümmerte. Eine jahrelange Freundschaft begann, die trotz aller Widrigkeiten bis heute hält. Lamin nennt sie schlicht „Mama“.

Doch die Geschichte der beiden bekam einen harten Riss - Lamin hat Deutschland wieder verlassen. Die Odyssee des jungen Mannes ist immer noch nicht zu Ende, doch dank der modernen Kommunikationsmittel kann der Kontakt über Ländergrenzen hinweg bis heute gehalten werden - und so entstand aus einer spontanen Idee heraus ein zu Herzen gehendes Büchlein. Es erzählt ungeschönt und schnörkellos die Geschichte einer weiteren Flucht - aus Deutschland. „Nicht mehr Hand in Hand“ ist eine traurige Geschichte. Sie erzählt auch davon, wie Lamin heute lebt: illegal in einem europäischen Land - und wie es dazu kam. Das Erstaunliche: Lamin hat sie selbst geschrieben, in einer Sprache, die er erst seit Kurzem spricht. „Ich musste eigentlich kaum etwas verändern, sondern nur die einzelnen Handy-Mitteilungen in Fluss und Form bringen - und zeitlich einordnen“, erzählt Uscha Raichle im Dettinger Buchcafé. Dort hat sie sich regelmäßig mit ihrem Schützling getroffen, ihm Mut gemacht und zu einer Ausbildung als Altenhilfepfleger im Weilheimer Heim Kalixtenberg verholfen. Dort hat sich Lamin wohl gefühlt, die Bewohner und Kollegen mochten den jungen Gambier. Doch eines Tages erschien Lamin nicht mehr bei der Arbeit. Er befürchtete, in die Heimat abgeschoben zu werden und sah als einzigen Ausweg die Illegalität. Denn Lamin ist überzeugt, dass ihn „zu Hause“ das Gefängnis erwartet - und viele überleben die Haft nicht.

Lamin hat es nicht geschafft, seine Identität über die Anwälte klären zu können. „Es sei ein Leichtes“, in Gambia vor Ort oder über Verwandte eine Geburtsurkunde oder einen Pass zu bekommen, ließ das Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe schriftlich verlauten. „Die Antworten der gambischen Anwälte vor Ort waren ernüchternd! Beide Anwälte sahen sich nicht in der Lage, eine solche Urkunde für mich zu besorgen. Der psychische Druck, unter dem ich stand, wurde größer und belastender. Meine Konzentrationsfähigkeit in der Schule nahm ab, die Schlaflosigkeit wurde schlimmer. Ich hatte Angst, meine Ausbildungsstelle zu verlieren“, notierte Lamin in seinem Handy.

Nervenaufreibend wurde es auch für Uscha Raichle. Sie begleitete ihren Schützling mehrfach zum Konsulat und zu Behörden, versuchte, alles möglich zu machen - sah sie doch, wie engagiert Lamin seine Arbeit anging und die Sprache lernte. Kontakte nach Gambia wurden geknüpft, doch die Lage dort war für die Familie von Lamin nicht einfach. Weil sie der Opposition angehört, wurde ihr Land von heute auf morgen enteignet. Um den Vater nicht einer möglichen Gefangennahme auszusetzen, brach Lamin schließlich den Kontakt ab. „Eigentlich hat Lamin genügend Papiere vorweisen können. Das RP hatte einen Ermessensspielraum, ihn aber nicht genutzt - und somit abgelehnt“, fasst es Uscha Raichle zusammen und fügt an: „Es ist unser traurigster Fall.“

Am Entstehen des Büchleins großen Anteil hatte auch David Hofmann. Der Mediengestalter beim Teckboten kennt Lamin ebenfalls aus seiner Zeit im Dettinger Zelt. Er war einer der vielen ehrenamtlichen Helfer, die den Flüchtlingen tatkräftig beistanden, um sie bei der Integration in dem fremden Land zu unterstützen. Mit dem abrupten Ende hat auch er nicht gerechnet. An Motivation hat es bei keinem der Beteiligten gefehlt: weder bei Lamin noch den ehrenamtlichen Betreuern und dem Arbeitgeber.

 

Info Das Büchlein „Nicht mehr Hand in Hand! - Ein Flüchtling aus dem Raum Dettingen/Kirchheim unter Teck erzählt seine Geschichte“ von Lamin Ceesay gibt es im Buchcafé One., Dettingen, Schulstraße 5, Telefon 0 70 21/ 57 17 65.

Wunsch und Realität

In der Illegalität hat Lamin ein Buch geschrieben. Einfach so, mit seinem Handy, in einer fremden Sprache. „. . . Das Glücksgefühl und die Zufriedenheit über meine neue Situation hielt einige Monate an, bis ich eines Tages im Oktober 2017 über das Ausländeramt einen Brief vom Regierungspräsidium Karlsruhe erhielt, in dem ich aufgefordert wurde, meine Identität als gambischer Bürger nachzuweisen, da sonst die Gefahr bestünde, dass ich meine Genehmigung zur Ausbildung als Altenpflegehelfer verliere. Dies war die Belehrung über die Passpflicht. Diese Aufforderung war sehr belastend für mich. Wie sollte ich, der in Gambia von der Polizei gesucht wurde und dem dort eine Gefängnisstrafe drohte, aus der Heimat von irgendeiner Behörde ein Dokument bekommen, welches meine Staatsangehörigkeit beweisen würde? . . .“ ist auf dem Klapptext des Buchs „Nicht mehr Hand in Hand!“ zu lesen.

Das Vorwort: Dieser Bericht schildert das Leben eines 32 Jahre alten Mannes aus Gambia, seine Ankunft in Deutschland, das Ringen um einen Aufenthaltstitel, seine Bemühungen um Integration, das Erlernen der deutschen Sprache, um Gestattung einer Ausbildungsduldung und vor allen Dingen den Kampf mit den deutschen Institutionen.

Lamins Traum: wieder in Deutschland leben und seine Ausbildung fortsetzen. ih