Weilheim · Lenningen · Umland
Die Wunden einer Stadt

Musik 2019 wurde der Nürtinger Fabio Dahm bei einer Messerattacke lebensgefährlich verletzt. Mit seinem aktuellen Rap-Titel „Caribio“ stellt er die Frage nach Gerechtigkeit für Gewalt-Opfer. Von Barbara Gosson

Den Spitznamen Caribio hat der 30-jährige Nürtinger Fabio Dahm in seiner Jugend wegbekommen. „Chillen wie in der Karibik, das ist der Ursprung“, erzählt er. Nun ist Caribio Dahms Künstlername für sein Rap-Projekt. Vor zwei Jahren waren von ihm noch wesentlich härtere Klänge zu hören. Sein letztes Album mit dem Titel „Trauma Experience“ erschien unter dem Künstlernamen Dahmn noch auf Vinyl. Das neue Stück „Eine Stadt“ gibt es jetzt samt Video ausschließlich auf Streaming-Plattformen.

 

Es schmerzt, über das Erlebte zu schreiben, und doch muss es raus.
Fabio Dahm
Musiker und Gewaltopfer
 

Musikalisch hat sich Fabio Dahm von „Dahmn“ zu „Caribio“ um 180 Grad gewandelt, thematisch geht der Song „Eine Stadt“ in eine ähnliche Richtung. Der Musiker verarbeitet darin ein Ereignis, das sein Leben überschattet.

Im Juli 2019 wurde Dahm von einer Gruppe Jugendlicher angegriffen und mit einem Messer lebensgefährlich verletzt. Dahm kannte die Angreifer nicht. Sie fühlten sich von seinem T-Shirt mit dem Aufdruck „Nürtinger Hurensöhne“ provoziert. Dieser bezieht sich auf ein Lied von Dahms Band „Roidige Hunde“ und wurde von vielen Nürtingern mit einem Augenzwinkern getragen. Im Februar 2020 wurden die fünf Täter verurteilt, der 19-jährige Haupttäter zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe, vier Mittäter im Alter zwischen 15 und 17 Jahren zu Jugendarrest und Bewährungsstrafen.

„Ich bin kein Freund von Repressionen oder drakonischen Strafen, aber seit diesem hinterlistigen Angriff spreche ich mich klar für eine Verschärfung des Strafrechts für Jugendliche und Personen unter 21 Jahren aus“, sagt Dahm.

Handelten die meisten Texte auf dem Album „Trauma Experience“ hauptsächlich noch davon, wie Dahm seine Verletzungen an Körper und Seele bewältigt hat, wird es in „Eine Stadt“ politisch. Es handelt von Wut und Unverständnis über das milde Urteil für die Täter. Es handelt von mangelnder Zivilcourage – Dahm musste eine Frau anflehen, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Es handelt auch davon, wie Dahm seine Empfindungen durch die Kunst kanalisieren kann und nicht selbst zum Täter wird.

Wie schon bei „Trauma Experience“ hat Dahm alles alleine gemacht, die Beats und den Rap. Es dauerte anderthalb Jahre, bis der Song so weit war. Den Grund dafür nennt er im Text: Es schmerzt, über das Erlebte zu schreiben, und doch muss es raus. Live gespielt hat er das Lied bereits ein paar Mal auf kleineren Konzerten.

Veränderungen anstoßen

Mit dem Lied will Fabio Dahm Veränderung in Nürtingen anstoßen. Er war bei Oberbürgermeister Johannes Fridrich und hat mit ihm über das Thema Sicherheit in der Stadt gesprochen. Darüber, dass sich am Busbahnhof fast alle unwohl fühlen, doch zu wenig Vorfälle bei der Polizei bekannt werden, um eine Kameraüberwachung zu rechtfertigen. Fabio Dahm ist den Tätern im Zug das erste Mal begegnet, dann verfolgten sie ihn bis zum Kührain. Mithilfe von Überwachungsaufnahmen aus einem Supermarkt konnten die Täter schließlich dingfest gemacht werden. Er hatte auch eine Idee für den OB: „Man könnte den Ort, an dem die Tat passiert ist, symbolisch künstlerisch verändern, zu einem Ort, der für Zivilcourage und gegen Gewalt steht“, ist Dahms Vorschlag.

Der Haupttäter ist bereits wieder auf freiem Fuß, so Dahms Information. Er hat lange überlegt, die Stadt zu verlassen, damit er den Tätern nicht begegnen muss. Doch die lieb gewonnene Heimatstadt möchte Fabio Dahm nicht denen überlassen, die ihr ein hässliches Gesicht geben. Er ist fassungslos darüber, wie viel Schutz den Tätern zuteil wird und wie wenig Rücksicht auf die Empfindungen von Menschen, die Gewalt erlitten haben, genommen wird.

Das wird auch deutlich in den Bildern, die zum Song entstanden sind. Das Video hat der Bühnenmalergeselle am Stuttgarter Staatstheater zusammen mit fünf Theatertherapeutinnen an Orten in Nürtingen umgesetzt, die etwas verwahrlost aussehen, zum Beispiel der Schulhof der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule. Die Theatertherapeutinnen haben Erfahrung damit, in Rollen zu schlüpfen und sich vor der Kamera zu bewegen. Ein weiterer Grund, mit den Theatertherapeutinnen zu arbeiten, ist ihre Erfahrung mit traumatisierten Menschen. Sie konnten ihn auffangen, wenn ihm alles wieder zu nahe ging.

Nun ist Dahm gespannt, welche Reaktionen sein Song auslöst: „Von denen, die das Lied schon gehört haben, bekam ich sehr positive Rückmeldungen.“

Die Single „Eine Stadt“ von Caribio mit dem Video gibt es auf Apple Music, Spotify und Youtube.