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Diskussion um den Hungerberg in den 80ern: Die Stimmung war gereizt

Geschichte Das Gebiet Hungerberg war schon Ende der 1980er-Jahre einmal Ausgangspunkt heftiger Diskussionen. Damals sollte auf dem Gelände östlich der B 465 eine Müllverbrennungsanlage entstehen. Von Eberhard Sieber

Ausgangspunkt für die Aufregung in den 80er-Jahren rund um den Hungerberg waren das Abfallgesetz von 1972, das den Landkreisen die Abfallentsorgung zuwies, und der im Lauf der Jahre sich verschärfende Müllnotstand. Die Hausmülldeponien waren voll, und der Müll aus dem Kreis wurde zum Teil in die DDR und nach Frankreich exportiert. In mehreren Runden suchte der Landkreis nach einer Lösung. Die Mehrheit des Kreistags neigte der Müllverbrennung zu, während die Opposition Müllvermeidung und Recycling in den Vordergrund stellte. 1988 beschloss der Kreistag, eine eigene Müllverbrennungsanlage im Kreis Esslingen zu bauen. Mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung und der Standortsuche beauftragte er die „Deutsche Projekt­union“ (DPU) aus Essen.

In dem von der DPU erarbeiteten Gutachten wurden sechs geeignete Standorte vorgeschlagen, darunter einer, „Kirchheim I“, auf der Markung Dettingen, die Fläche östlich der Bundesstraße B 465. Die Nachricht führte in der Gemeinde zu heller Aufregung, und Bürgermeister Fischer beraumte unverzüglich für den 31. Juli 1989 eine Sondersitzung des Gemeinderats an. Einziger Tagesordnungspunkt war das Gutachten der DPU (siehe
Infokasten).

Insgesamt war die Aufregung in der Region groß. In der Folge entstanden Unterschriftenaktionen. Eine spontane erbrachte schon bis zum Sitzungstag 518 Unterschriften. In Kirchheim waren es bereits wenige Tage nach dem Start rund 1800 Unterschriften. Es wurden Bürgerinitiativen gegründet, darunter „Das bessere Müllkonzept“. Diese kämpfte gegen Müllverbrennung im Landkreis und konnte im September Landrat Braun 25 508 notariell beglaubigte Unterschriften überreichen. Leserbriefe, Protestversammlungen, Pressemitteilungen – die Stimmung im Landkreis war gereizt. Der Landrat verteidigte die Müllverbrennung und wehrte sich mit einer unglücklichen Formulierung: Die Emissionen „verschwinden in vorhandener Luftbelastung“ stand im Teckboten vom 8. August 1989 zu lesen.

Auch die Stadt Kirchheim griff in die Auseinandersetzung ein. Oberbürgermeister Jakob war zwar nicht gegen Müllverbrennung, aber in einem Schreiben an den Landrat griff er schon im Juli 1989 das Gutachten der DPU und die Standortauswahl als methodisch fehlerhaft scharf an.

Die Dettinger Landwirte wandten sich in einem eigenen Schreiben an Landrat und Kreistag gegen den Bau der Müllverbrennungsanlage auf Dettinger Markung. Sie fragten sich, „ob die Errichtung einer solchen Anlage an einem landschaftlich und für uns landwirtschaftlich so hervorgehobenen Standort am Eingang des Lenninger Tals sein muss“.
In einem, auch von Bürgermeis­ter Fischer unterschriebenen „Bürgerbrief“ wird gegen das Bauvorhaben „in einer solch exponierten Lage am Rand des Albtraufs mit freiem Blick zur Teck“ protestiert.

In der offiziellen Stellungnahme der Gemeinde Dettingen an die „Deutsche Projektunion“ wurden die Argumente, die gegen einen Standort Dettingen sprechen, aufgelistet. Es sei unverständlich und nicht vertretbar, dass bei der Suche nach Flächen andere, wichtigere Kriterien wie die Nähe zu Wohnsiedlungen und anderen Faktoren vernachlässigt würden. Zutreffend sei, dass im Regionalplan der Standort Kirchheim I „als regionaler Grünzug enthalten ist. Zutreffend ist auch, dass der gesamte Bereich östlich der B 465 als schutzbedürftiger Bereich für die Landwirtschaft anzusehen ist“. Hinzu komme, dass im Landschaftsplan der Verwaltungsgemeinschaft Kirchheim/Dettingen/Notzingen diese Talaue als notwendige Frischluft- und Klimazone bezeichnet würde, die von jeder Bebauung freizuhalten sei.

Die entscheidende Sitzung des Kreistags rückte näher. Dettingen stand in der Standortauswahl an dritter Stelle: Die breite Protestbewegung hatte aber durchaus Wirkung gezeigt. Am 28. September 1989 fiel die Entscheidung: Der Kreistag beschloss damals mit 62 zu 49 Stimmen, eine Müllverbrennungsanlage in Sirnau zu errichten. Diese wurde allerdings nie gebaut.

Gemeinderäte waren sich damals einig

Im Dettinger Gemeinderat war man sich im Sommer 1989 einig, dass den Plänen der Deutschen Projektunion (DPU )vehementer Widerstand entgegengesetzt werden sollte.

Die SPD-Fraktion im Dettinger Gemeindrat wunderte sich, dass im Gutachten die Auswirkung auf das Landschaftsbild „völlig vernachlässigt“ werde. Es sei zum damaligen Müllnotstand nur deshalb gekommen, weil die Kreisverwaltung sowohl die Müllvermeidung als auch die Mülltrennung und Wiederverwertung mehr als vernachlässigt habe. Mit Erstaunen habe man dem Gutachten entnommen, wie leichtfertig diese Untersuchung über jahrelange Arbeiten für den Regionalplan Mittlerer Neckar hinweggehe und Flächen, die in diesem Plan als regionale Grünzüge ausgewiesen würden, ohne Bedenken zu Industriegebieten umwandle.

Die Freien Wähler vertraten die Interessen der Landwirte, für die „die Erhaltung eines gesunden Bodens das oberste Ziel eines jeden verantwortungsbewussten Landwirts“ sei. Gegen die Standortauswahl müsse sich die Gemeinde wehren. Mitten in der unbebauten Landschaft werde eine derartige Anlage geplant, obwohl immer Rücksicht auf den Landschaftsverbrauch genommen werden solle.

Ganz ähnlich der Sprecher der UWV: Das schützenswerte Albvorland müsse erhalten bleiben.

Am deutlichsten wurde CDU-Gemeinderat Gottlob Hummel: Der Standort Kirchheim I sei „ein Verbrechen an unserer Landschaft“. sib