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Ein fahrbarer Mini-Wintergarten

Zukunft Parkplatzsuche war gestern. Ein Projekt der Hochschule Esslingen möchte das Problem fehlender
Stellplätze lösen. Als Nebeneffekt schafft es auch Wohnraum, Mobilität und Umweltschutz. Von Simone Weiß

„LiMo 2040“ – das klingt wie der Name eines hippen Sommer-Ferien-Drinks. Doch es ist viel mehr als nur ein Party-Getränk: „Li“ steht für „Living“ oder Leben, „Mo“ ist die Abkürzung für „Mobilität“, die Zahl verweist auf die Zukunftsfähigkeit der Vision. Aber „LiMo2040“ ist keine überbordende Science-Fiction-Fantasie. Das Forschungsprojekt soll nach Vorstellung seiner Erfinder an der Hochschule Esslingen die Herausforderungen moderner Großstädte pragmatisch, nachhaltig und realitätsnah in den Griff bekommen.

Immer mehr Menschen, immer weniger Raum – die Citys platzen aus allen Nähten. Noch größer werdende Großstädte aber machen Probleme. Sie führen zu Wohnungsnot, überhöhten Mieten, mehr Verkehr, gestresster Umwelt oder Parkplatzmangel. Studenten der Hochschule Esslingen um den Professor Hugo Gabele meinen zwar kein Allheilmittel, aber doch ein wirksames Rezept gegen immer stärker verdichtete Ballungsräume gefunden zu haben. Ihr Problemlöser heißt „LiMo 2040“. Die Idee fußt auf einem modularen Fahrzeugkonzept mit einer Kombination aus Fahrkabine und -gestell: „Wir haben noch kein K. o.-Argument dagegen gefunden“, freut sich Hugo Gabele.

 

Wir haben noch kein K.o.-Argument dagegen gefunden.
Hugo Gabele, Professor an der Hochschule Esslingen zum Projekt „LiMo 2040“

 

Raum für Kreativität gibt es auch. Blümchenmotive, eine klassische Einheitsfarbe, der beliebte Sticker „Baby an Bord“ oder Porträts von Lieblingsschauspielern – die Karosserie der Fahrzeugkabine kann nach Belieben verziert werden. Diese gehört laut dem Studenten Fabian Schmid einer Privatperson, die ihren Geschmack bei der Außengestaltung voll ausleben kann. Das Fahrzeuggestell dagegen ist kollektives Eigentum mehrerer Kabinenbesitzer und wird im Depot eines Dienstleisters für Logistik, Wartung und Infrastruktur gelagert. Das geht kompakt, konzentriert und platzschonend. Denn die einzelnen Gestelle können ähnlich den Einkaufswagen im Supermarkt raumsparend ineinandergeschoben werden. Für etwa fünf Kabinen müsste ein Gestell reichen, rechnet Student Torben Ossendorf vor.

Mit dieser Idee werde das klassische Carsharing weiterentwickelt und aktualisiert. Ein weiteres Problemfeld wird nach Ansicht von Fabian Schmid durch das Forschungsprojekt ebenfalls gelöst: Die meisten Autos würden lediglich während eines geringen Zeitraums genutzt und zu 90 Prozent nur stehen. Durch „LiMo 2040“ würden die Fahrzeuge effizient und ökonomisch eingesetzt. Seilbahngondeln fungierten dabei als Initialzündung. Nach ihrem optischen Vorbild wurden die Fahrzeugkabinen mit zwei Sitzreihen kreiert. Wie für ihre Außen- gilt auch für ihre Innenraumgestaltung das Motto: „Erlaubt ist, was gefällt.“ Eigentümer können das Interieur mit Geranien, Gardinen oder anderen Gestaltungselementen nach Belieben aufhübschen. Ein Wohlfühlambiente muss aber schon sein. Denn die Kabinen dienen in Verbindung mit dem Fahrzeuggestell nicht nur der Personenbeförderung, sondern schaffen auch zusätzlichen Wohnraum. Sie werden laut Student Florian Ponto an den Außenfassaden von Häusern angedockt, ergänzen so die Wohnungen und können wie ein Mini-Wintergarten, ein verglaster Balkon oder ein Extra-Räumchen genutzt werden.

Vom Wintergarten zum Fahrzeug

Dieses Zusatzkämmerchen hängt am Gebäude. Es kann aber sehr schnell in Bewegung geraten. Will der Besitzer ausgehen, ins Kino, ins Theater, zum Shoppen oder zu seinen Kumpels, ordert er per App das Fahrzeuggestell aus dem Depot. Es fährt nach dem Posting laut Hugo Gabele selbstständig zum Wohnhaus der Rufenden. Dort wird das bisherige Zusatzzimmer in eine Fahrzeugkabine umgewandelt. Über ein Schienensystem an der Gebäudeaußenwand wird sie nach unten gefahren und auf das bereitstehende Fahrzeuggestell eingeklickt. Der Besitzer hat keine Arbeit damit – alle Vorgänge werden vollautomatisch erledigt.

Nach Eingabe der Adresse des Zielortes düst das so aus Kabine und Gestell entstandene Fahrzeug los. Abgestellt werden soll es am Zielort in einem in die Höhe gebauten Aufzugssystem aus mehreren Etagen. Es hat in seiner einfachen Variante vier Parkplätze pro Stockwerk, ist modular erweiterbar und verfügt im Erdgeschoss über Platz für das Be- und Entladen der Kabinen.

Der Besitzer kann sich in der Zwischenzeit amüsieren oder etwas erledigen. Ist er damit fertig, bringt ihn das Fahrzeug selbstfahrend zum Wohnhaus zurück. Dort wird die Kabine automatisch vom Gestell gelöst und über das Schienensystem wieder am ursprünglichen Standort vor der Wohnung angebracht. Das Gestell düst zurück in sein Depot. Kleiner Nebeneffekt: Promillegrenzen sind nur noch ein gesundheitliches, aber kein verkehrsrechtliches Problem mehr. Das Fahren erfolgt automatisch, der Kabinenbesitzer kann ohne Reue feiern. Vielleicht ja mit einem bis dahin entstandenen Freizeit-Drink namens „LiMo 2040“.

 

Forschungsprojekt an der Hochschule Esslingen

Akteure Hugo Gabele ist Professor an der Fakultät für Mobilität und Technik der Hochschule Esslingen und lehrt auch in dem Studiengang Fahrzeugtechnik. Zusammen mit Studierenden beschäftigt er sich seit April 2022 mit „LiMo 2040“, das auf weiteren Forschungsarbeiten der Hochschule basiert.

Zeitplan An der Konzeptidee wird weiter gearbeitet. Die Fahrzeugkabine von „LiMo 2040“ soll als Holzmodell mit Originalmaßen angefertigt werden. Bis 2024 soll nach jetziger Planung ein Prototyp des Modulautos an der Hochschule entstehen. Eine Markteinführung ist das längerfristige Ziel.

Nutzung „LiMo 2040“ ist nach Ansicht der Studierenden vielseitig einsetzbar. Denkbar wäre ihrer Vorstellung nach auch eine weitere Verwendung als Kabine in einem Seilbahnnetz hügeliger Städte. Selbst eine Beförderung über Helikopter oder ähnliche Flugsysteme könne möglich sein. sw