Weilheim · Lenningen · Umland

Ein farbenfrohes Zeitgemälde

Karl-Heinz Ott liest bei Zimmermann aus seinem Roman „Auferstehung“

Kirchheim. „Kommt heim, so schnell es geht. Papa ist tot“. Tochter Linda schickt diesen Appell an ihre drei Brüder. Die vier erwachsenen

Geschwister treffen sich, bevor ein Arzt den Tod beurkundet hat und bevor der Rechtsanwalt kommt, und haben viel zu besprechen. Sehr viel. Denn sie sind verschiedene Lebenswege gegangen und hatten wenig Kontakt untereinander.

Diese Situation bildet den Ausgangspunkt für den Roman „Die Auferstehung“ von Karl-Heinz Ott. Der Autor war zu Gast bei der Buchhandlung Zimmermann, um sein soeben erschienenes Werk vorzustellen. Karl-Heinz Ott ist kein Fremder, sondern der Region verbunden. In Ehingen an der Donau 1956 geboren, war er 1986 bis 1989 musikalischer Leiter an der WLB Esslingen – ja, außer Philosophie und Germanistik hat er auch Musikwissenschaft studiert. Er folgte dem Intendanten Schirmer nach Freiburg, jetzt auch als Dramaturg. Nach der Tätigkeit an der Oper Basel führt das Multitalent die Existenz eines freien Schriftstellers. Seine schriftstellerische Karriere ist, wie Gastgeberin Sybille Mockler ausführte, durch Romane wie „Endlich Stille“ und „Ob wir wollen oder nicht“ befördert worden. Als erfahrener Theatermann schrieb er anlässlich der Konzilfeiern letztes Jahr mit Theresia Walser das aufsehenerregende Stück „Konstanz am Meer“. Für sein literarisches Schaffen erntete er viele Preise.

Nun als die taufrische „Auferstehung“, immerhin bei Hanser erschienen. Schon das Druckbild macht deutlich, dass der Roman aus zwei Erzählweisen besteht, aus geschlossenen Erzählteilen und „zerklüfteten“ Dialogpartien. Das schafft einen Rhythmuswechsel, den der Profimusiker bewusst einsetzt. Als Textbeispiele für die Lesung wählte Ott bevorzugt Dialogteile, die wirken lebendiger und werden von Ott auch entsprechend vorgetragen.

In den Dialogen kommen die grundverschiedenen Positionen und Lebensläufe der vier Geschwister zum Vorschein. Gemeinsam ist ihnen allerdings die Empörung über das Benehmen des Vaters nach dem Tod der Mutter. Er hat die Beziehung zu den Kindern praktisch abgebrochen und lebt mit seiner Haushälterin und Pornografie seine sexuellen Fantasien aus und schenkt ihr sogar ein Sommerhaus: Der versierte Autor Ott weiß: sex sells.

In der Empörung über die „ungarische Hure“ sind sich die Geschwister einig, ansonsten aber gibt es verschiedene Positionen zu den Problemen der Welt – je nach Ausgangslage. Linda ist als promovierte Leiterin des Memminger „art house“ die Etablierteste, Joschi ein Clochard mit Marxzitaten im Kopf, Jakob ein Fernsehmann, der für seine kritischen Reportagen keine Abnehmer mehr findet, Uli ein gescheiterter Klassenkämpfer, der nach einer Gefängnisstrafe als Familienvater einen Platz als Werklehrer an einer Waldorfschule findet. Gesprochen wird über Naheliegendes wie die Modalitäten der Beerdigung – Friedwald oder nicht und so weiter – aber auch über Gott und die Welt.

Die Welt hat sich verändert, das zeigt sich sowohl in den Dialogen als auch in den epischen Teilen mit den Rückblicken. Dies ist schon am jeweils verwendeten Vokabular ablesbar. Den klassenkämpferischen Begriffen folgten die butterweichen der Esoterik, so, wie aus vielen Klassenkämpfern angepasste Bürger wurden. Auch die Umwelt, speziell die Ulmer Gegend, steht im Focus, erfährt eine weitgehend negative Veränderung. Vor allem der Vater kommt in dieser Hinsicht in den Erinnerungsteilen zu Wort. Er war immerhin Chefarzt einer Ulmer Klinik und möchte sich wenigstens am Ende seines Lebens ausleben. Ott denunziert niemand und keine Position, zeigt aber mit sanfter Ironie, dass Radikalität in Sachen Gesellschaft und Kunst zum Scheitern verurteilt ist.

Über Gott wird auch spekuliert. Ist der Atheismus auch nur ein Glaube und warum musste Christus für unsere Sünden sterben?

So fügen sich die Gespräche und die Erzähltexte zu einem farbenfrohen Zeitgemälde zusammen. Ott gibt einen Überblick über die Lebenswelt der, sagen wir, zwischen 1946 und 1959 Geborenen. Besonders diese Altersgruppe wird ihn mit Interesse lesen, denn er lässt diese historische Zeit mit ihrer revolutionären Gesinnung, Diskussionsfreudigkeit und der Problemhuberei lebendig werden. Der satirische Zugriff und die sprachliche Meisterschaft in jedem Detail lässt die Bestandsaufnahme zu einem Lesevergnügen werden. Dabei gerät in Vergessenheit, dass die Erzählsituation etwas mühsam erfunden ist und der Roman, damit zusammenhängend, etwas skurril endet.