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„Ein Fingerzeig für des Lebens Sieg“

Kirchheim veranstaltet einen Gedenkgottesdienst zum 70. Jahrestag des Kriegsendes

70 Jahre Kriegsende – das war für die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Anlass zum Gedenken in der Martinskirche: an das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und an eine Zeit, in der alles in Schutt und Asche lag. Es war aber auch ein Anlass zum Danken, zum Danken für ­Wiederaufbau und Demokratie und dafür, dass in Mitteleuropa seit 70 Jahren Friede herrscht.

Zum 70. Jahrestag des Kriegsendes hatte die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen zu einem ökumenischen Gedenk- und Dankgotte
Zum 70. Jahrestag des Kriegsendes hatte die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen zu einem ökumenischen Gedenk- und Dankgottesdienst in die Kirchheimer Martinskirche eingeladen.Foto: Markus Brändli

Kirchheim. Bezirkskantor Ralf Sach brachte die Besonderheit des Gedenktags zum Kriegsende bereits in seinem Orgelvorspiel ganz hervorragend auf den Punkt. Immer wieder ließ er in seine Musik Teile einer bekannten Melodie von Joseph Haydn einfließen, die sonst eher nicht in einer Kirche zu hören ist: die österreichische Kaiserhymne, auf die August Heinrich Hoffmann von Fallersleben später das „Lied der Deutschen“ gedichtet hat. Bis zum Kriegsende vor 70 Jahren hätten die Zuhörer daraus wohl die nationalistisch überhöhten und fast immer falsch interpretierten Zeilen „Deutschland, Deutschland über alles“ herausgehört. Seither aber gehört zu dieser Musik nur noch die dritte Strophe mit ihrem unverfänglichen und passenden Appell zu „Einigkeit und Recht und Freiheit“.

Den Übergang vom Krieg zur Nachkriegszeit veranschaulichte anschließend ein Film von Sven-Martin Seel, der Kirchheimer Originalaufnahmen zeigte. Zu sehen waren Krieg und Zerstörung – unter anderem das ehemalige Gasthaus Lamm –, vor rotem Hintergrund. Diesen Sequenzen folgten grün hinterlegte Bilder und Szenen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, die Hoffnung, Zuversicht, Leben und Zukunft verhießen.

Reinhold Jochim gab einen Zeitzeugenbericht des Kirchheimers Gebhard Geisinger wieder, der vom Kriegsende in Kirchheim erzählte – als am 20. April 1945 amerikanische Panzer in die Stadt kamen und viele Kirchheimer ihre Häuser für die Soldaten der Besatzungsmacht räumen mussten. Er berichtete aber auch von einer neuen Form des friedlichen Zusammenlebens: 1945 konnte der Kirchenchor in Sankt Ulrich an amerikanischen Gottesdiensten mitwirken – „ohne Angst haben zu müssen, von der Gestapo entdeckt und aufgelöst zu werden“.

Günther Öhrlich ging anhand der Klagelieder des Jeremia vor allem auf die Schuldfrage ein. „Schwer ist das Joch meiner Verbrechen“, zitierte er den Bibeltext und sprach in diesem Zusammenhang vom „Unheil, das durch unser Volk in die Welt gekommen ist“. Dennoch dürfe man diese Schuld nicht ausspielen gegen „das Leid, das auch über unser Volk gekommen ist“. Beides habe es gegeben – Schuld und Leid –, und beides dürfe angesprochen werden. Wichtig sei in jedem Fall das Gedenken, denn „nur das Erinnern bewahrt uns davor, ähnliche Fehler wieder zu begehen“.

Christoph Schweikle ging auf das Thema „Danken“ ein und ließ viele Gründe aufzählen, dankbar zu sein: „70 Jahre Frieden in unserem Land“, „ein funktionierendes Rechtssystem“, „ein hohes Maß an innerer Sicherheit“, „Meinungs- und Pressefreiheit“, „unglaublich viele Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung“, „Religions- und Glaubensfreiheit“ oder auch „ein reiches kulturelles Leben“.

Besonders das reiche kulturelle Leben kam durch die vielen Musikbeiträge zum Ausdruck, sei es durch gemeinsam gesungene Kirchenlieder oder durch die Musik der Klezmergruppe der Christuskirche. Zur Klezmermusik sagte Christoph Schweikle: „Hier gibt es alle Register.“ Und tatsächlich zog die Gruppe alle diese Register: Klagend-melancholisch ging es um „Dos Kelbl“ – also um das Kälbchen, das nicht frei wie ein Vogel fliegen kann, sondern gebunden zum Markt und zum Schlachthaus geführt wird. Heiter und unbeschwert zeigte ein Instrumentalstück, wie trotz allem immer wieder das Leben siegt. Letzteres kommt besonders anschaulich in dem Text von Schalom Ben-Chorin zum Ausdruck, der ebenfalls gemeinsam gesungen wurde: „Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt, das bleibt mir ein Fingerzeig für des Lebens Sieg.“

Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker nannte Zahlen und Schicksale zum Kriegsende in Kirchheim: Obwohl die Stadt eigentlich noch glimpflich davongekommen sei, gab es bei mehreren Luftangriffen zahlreiche Todesopfer, darunter viele Kinder und Jugendliche. Und auch der 20. April 1945 verlief nicht immer friedlich; „Die Stadt wurde nahezu kampflos eingenommen. Dennoch gab es durch Schießereien 54 Todesopfer.“ Hinzu kommen in der Bilanz des Schreckens 657 tote Soldaten aus Kirchheim einschließlich der Teilorte sowie 456 Vermisste.

Außerdem erinnerte die Oberbürgermeisterin an die Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Für diese „zivilen Opfer des Dritten Reichs“ wird derzeit in Kirchheim ein Denkmal entwickelt.