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Ein Jahr in den USA: Tausche Alb gegen Wüste

Austausch Tabea Mailänder aus Hochwang lebt für ein Jahr als Junior-Botschafterin in den USA. Im Dezember wurde die 20-Jährige zur Teilnehmerin des Monats gekürt. Von Anke Kirsammer

Wo anfangen und wo aufhören? „Ich gehe zum College und zur Arbeit und mache viele Sachen mit meiner Gastfamilie“, erzählt Tabea Mailänder beim Videocall am Ende eines langen Tages und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Wenn die Lenningerin von ihrem Stipendium in den USA berichtet, sprudelt es nur so aus ihr heraus. Übers Wochenende hatte sie mit einem anderen Teilnehmer des Parlamentarischen Patenschafts-Programms (PPP) einen „Roadtrip“ in Arizona unternommen. Im November erlebte sie in Seattle „coole Sachen“ wie ein Eishockeyspiel und besichtigte die „Space Needle“, das Wahrzeichen der Stadt. Sie hat die Familie nach deutscher Tradition als Nikolaus beschenkt und Weihnachten samt aufblasbaren Figuren in den Vorgärten und Socken am Fake-Kamin erlebt, Wanderungen in der nahegelegenen Wüste unternommen, studiert, nebenbei gearbeitet, und sie engagiert sich vielfältig ehrenamtlich.

Riesenkakteen statt Christbäumen: Tabea Mailänder erlebte in Phoenix einen Weihnachtsspaziergang der etwas anderen Art. Foto: pr

Ein Jahr lang lebt die weltoffene 20-Jährige in Scottsdale im Großraum Phoenix bei einer fünfköpfigen Familie. Dass sie das Glück hatte, einen von bundesweit 75 Plätzen zu ergattern und der Nürtinger Bundestagabgeordnete Dr. Nils Schmid sie als Junior-Botschafterin in die USA schickte, ist mit einem Sechser im Lotto zu vergleichen. Die aufwendige Bewerbung inklusive Motivationsschreiben und Assessement-Center hat sich für sie allemal gelohnt.

Am College besuchte Tabea Mailänder unter anderem zwei Business-Kurse. „Das hat mich weitergebracht“, sagt die Industriekauffrau. Sie findet besonders interessant, wie sich US-amerikanische Unternehmensformen von denen in Deutschland unterscheiden. „Es gibt viel mehr kleinere Betriebe als bei uns. Die Bürokratie ist nicht so ausufernd“, sagt sie. Letzteres erfuhr sie selbst, als sie ein Bankkonto eröffnete. „Da reichte einfach eine Unterschrift“, so die sympathische junge Frau noch Monate später fast verdutzt.

 

Abends weggehen darf man hier erst mit 21.
Tabea Mailänder

 

Nebenbei arbeitete Tabea Mailänder bis Dezember in einem Büro für Studenten, in dem unter anderem kostenlose Hygieneartikel und Konserven an Bedürftige ausgegeben werden. Sie informierte über Auslandssemester und warb für das Patenschafts-Programm. An ihr Stipendium gekoppelt ist soziales Engagement: In der Kirche hilft sie ehrenamtlich in einem Zentrum mit, in dem Obdachlose und ärmere Familien mit Lebensmitteln und Kleidung versorgt werden. Regelmäßig nimmt sie an Treffen der „Mesa Sister Cities“ teil, deren großes Steckenpferd der Schüleraustausch ist. Beim Besuch eines mexikanischen Bürgermeisters fungierte sie sogar als Dolmetscherin. Lohn ihres Einsatzes: Im Dezember wurde die Junior-Botschafterin aus Hochwang zum „Participant of the Month“ gekürt. Jeden Monat wird im Rahmen des PPP eine deutsche und eine amerikanische Teilnehmerin beziehungsweise ein Teilnehmer ausgewählt. „Meine Gastfamilie hatte mich nominiert“, sagt Tabea Mailänder. Mit ihren Gasteltern und ihren drei Geschwistern auf Zeit, die alle ungefähr in ihrem Alter sind, hat sie ohnehin das große Los gezogen. „Ich fühle mich richtig wohl“, betont sie. Abgesehen von den zahlreichen Unternehmungen ist sie froh darüber, dass in der Familie viel selbst gekocht wird. Mit Schnitzel, Donauwelle und Apfelstrudel zum Glühwein zaubert sie gleichzeitig ein Stück Heimat in die USA.

Ein Roadtrip zum Monument Valley gehört zu den Highlights, die Tabea Mailänder in den vergangenen Monaten erlebt hat. Foto: pr

Gewöhnen musste sich die Stipendiatin, die zuhause jedes Wochenende unterwegs war, an die ganz anderen Regeln in der Freizeit. „Abends weggehen darf man hier erst mit 21“, sagt sie. Während der Umgang mit Alkohol viel strikter gehandhabt werde, sei Cannabis in Arizona legal. Als „krass“ bezeichnet, sie, was sie auf einem Techno-Rave erlebte, zu dem bereits 18-Jährige Zutritt hatten. Auch die politische Stimmung hinterlässt manches Fragezeichen. „Ich hätte nicht gedacht, dass Trump noch einmal eine Chance hat“, sagt sie. Doch sprächen Flaggen vor den Häusern eine andere Sprache. Er habe nach wie vor viele Anhänger, die an die Erzählung von der „gestohlenen Wahl“ glaubten.

„Ich habe gelernt, mein Leben in Deutschland mehr wertzuschätzen“, sagt die Junior-Botschafterin. Dazu gehören die viel kürzeren Distanzen. „Wenn ich mir überlege, dass man von Stuttgart aus mit dem TGV in gut drei Stunden in Paris ist.“ Immer wieder stellt sie fest, dass viele Amerikaner ein falsches Bild davon haben, was deutsch ist. Als typisch sei auf einem der Oktoberfeste etwa die Kombi aus Wurst, Sauerkraut und süßem Senf verkauft worden.

Den Hörsaal im College tauscht Tabea Mailänder für die nächsten sechs Monate mit einem Praktikumsplatz in einer Versicherung. Freunde und die Familie sind es, auf die sie sich am meisten freut, wenn sie an ihr Zuhause denkt. Und schon jetzt steht für sie fest: „Als erstes kaufe ich mir eine Brezel.“ Doch nun heißt es erst einmal Kraft tanken für den nächsten spannenden Tag. Denn während in Kirchheim ein neuer Arbeitstag anbricht, geht die Uhr in Scottsdale inzwischen auf Mitternacht zu.

Bundestag und Kongress kooperieren

Das Parlamentarische Patenschafts-Programm gibt es seit 1983. Jedes Jahr haben Schülerinnen und Schüler sowie jungen Berufstätige die Möglichkeit, mit einem Stipendium des Deutschen Bundestages ein Jahr in den USA zu erleben. Zeitgleich sind junge US-Amerikaner zu Gast in Deutschland. Das PPP ist ein gemeinsames Programm des Deutschen Bundestages und des US-Kongresses.
Nähere Infos gibt es unter bundestag.de/ppp