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Ein rabiater Liebhaber der Stille

Doris Rothmund erinnert im Max-Eyth-Haus an Eugen Gottlob Winkler

Kirchheim. Der Literaturbeirat der Stadt Kirchheim soll sich satzungsgemäß um die Literatur der Region kümmern. Barbara Haiart hat Doris Rothmund zu einer Matinee ins

Max-Eyth-Haus eingeladen. Damit ist ihr in Bezug auf Regionalität ein Doppelschlag gelungen. Rothmund hat als Deutschlehrerin am Zeppelin-Gymnasium in Stuttgart entdeckt, dass zwei Autoren fast zeitgleich früher ihre Schule besucht haben, Hermann Lenz und Eugen Gottlob Winkler. Während Hermann Lenz einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat, ist Winkler fast vergessen. Das muss geändert werden, meinte sie, und hatte nach ihrer Pensionierung die Kraft und die Zeit, sich im Archiv in Marbach umzusehen. Die Archivarbeit inspirierte sie zu einem 2014 erschienenen Roman. Als Titel wählte sie einen Satz, den Winkler selbst über sich gesagt hat: Er sei „Ein rabiater Liebhaber der Stille“.

Doris Rothmund stellte anfangs vor einer erfreulichen Anzahl von Zuhörern klar, dass es ihr primär um die Gestalt Winklers gehe. In Gedichten, Reisebeschreibungen und vor allem in Briefen soll sich seine literarische Qualität beweisen und sollen seine Biografie und die Zeitumstände in Erinnerung gerufen werden.

Winkler ist 1912 in Zürich als Sohn einer Schweizerin und eines Deutschen zur Welt gekommen. Schon bald ist die Familie ins Schwabenland umgezogen; die Familie wohnte in Wangen, und der Vater arbeitete als Maschinenbauer bei Daimler. Der Vater starb, als der Sohn fünfzehn Jahre alt war. So musste sich die Mutter mit ihrem Sohn in ärmlichen Verhältnissen durchschlagen.

Nach dem Abitur 1929 studiert Winkler Kunstgeschichte und Romanistik, unter anderem in Paris, und promoviert mit gerade mal 21 Jahren. Es beginnt die schwierige Suche nach einem Brotberuf. Er schreibt und versucht zu publizieren – mit mäßigem Erfolg. Er bezeichnet sich als unpolitischen Menschen, gerät aber in die Fänge der Nazis, als er beschuldigt wird, nachts an einem Wahlplakat herumgerissen zu haben. Denunziert hat ihn ein zehnjähriges Mädchen. Zehn Tage verbringt er in Untersuchungshaft und wird schließlich aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Er zieht sich immer mehr zurück.

Depressive und schriftstellerische Phasen wechseln sich ab. Im Oktober 1936 taucht er in München nachts vor dem Haus des Exilanten Thomas Mann, seines Idols, auf. Ein Gestapomann nimmt seine Personalien auf. Eine Untersuchungshaft möchte er nicht mehr mitmachen. „Mein Leben hat ohnehin zu lang gedauert“, schreibt er in einem Abschiedsbrief und nimmt sich, im Alter von 24 Jahren, mit einer Überdosis Veronal das Leben. Deutschland war durch die Nazis um eine glänzende Begabung ärmer.

Doris Rothmund illustrierte diese „verhängnisvolle“ Biografie anhand von Texten und Bildern. Von den Gedichten ist vor allem die erste Strophe der „Verzauberung“ programmatisch für das Lebensgefühl des Poeten: „So fällt die Nacht. Die Vögel kreischen/Im ängstigenden Busch. Wir gehn/ Verlornen Weg. Die Winde wehn/Uns nach, und wir verwischen.“ Als Trost bleibt die „Verzauberung“ in Träumereien und Fantasien.

Als Meister der Reiseliteratur stuft Rothmund den jungen Schriftsteller ein und belegt das mit einem Brief aus Taormina an einen Freund und einer ausgefeilten Einleitung zu einem Reisebericht. Die Texte zergehen auf der Zunge und machen deutlich, dass sich die Wirklichkeit in impressionistischer Manier subjektiv aus Eindrücken zusammensetzt und dass Winkler diese Eindrücke aufs Trefflichste auszuformulieren imstande ist. In Briefen an die Mutter öffnet er einen Blick auf seine Befindlichkeit und zeichnet gleichzeitig ein Gemälde der Nazizeit. Im Brief vom 10. Mai 1933, dem Tag der Bücherverbrennung, analysiert er in hellsichtiger Weise die Barbaren, die da am Werk sind. Wie eine Gerichtsverhandlung in der Nazidiktatur ablief, machte die Autorin Rothmund fühlbar, indem sie ein Kapitel aus ihrem Roman vorlas. Um Winklers Person lebendig zu machen, lässt sie die Person, die Winkler durch Denunziation ins Verderben gerissen hat, als alte Frau sich erinnern und erzählen.

Walter Jens hat Winkler sehr geschätzt. Er bemerkte zu dessen Schicksal, dass selbst kleine Mädchen zu „Mördern“ werden könnten. Das war für die Autorin der Anstoß, in ihrem Roman die Denunziantin erzählen zu lassen. Zur Zeit von Walter Jens war Winkler in literarischen Kreisen noch einigermaßen bekannt. Heute sind seine Werke nur noch antiquarisch greifbar. Doris Rothmund hat sich diesem „Verwischen“ entgegengestemmt und nebenbei ein weiteres Kapitel der Nazivergangenheit Deutschlands geschrieben.