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Ein wenig verrückt ist jeder

Die Gruppe „Saugut“ gibt in der Freihof-Realschule einen Blick hinter die Kulissen

Kirchheim. Der Blick hinter die Kulissen ist oft viel spannender als das, was auf der Bühne passiert. Auf

der Bühne ist Inszenierung, hinter der Bühne ist Leben. Glanz und Ruhm bietet nur die Bühne. Alles hinter den Kulissen bleibt unsichtbar. Wie bitter muss das dann für diejenigen sein, die als gefeierte Stars einst den Ruhm der Bühne genossen haben und nun abseits der Aufmerksamkeit der Zuschauer ihr Dasein fristen müssen?

Umso interessanter ist es daher, wenn ein Theaterstück das Leben hinter den Kulissen eines Theaters zum Inhalt hat. So wie das Stück „Ein wenig verrückt ist jeder – oder: wenn die Seele saufen geht“, das die Gruppe „Saugut“ in der Aula der Freihof-Realschule in Kirchheim aufgeführt hat. Für die Leiterin der Gruppe, die Regisseurin und Schauspielerin Monika Wieder, ist es ein besonderes Stück: „Es ist Tragödie und Komödie in einem, mit vielen sehr unterschiedlichen Charakteren“.

Tragödie und Komödie ist das Stück in der Tat. Und unterschiedlicher könnten die Charaktere nicht sein. Da ist etwa Greta (Julia Neidhardt-Busch), eine ehemalige Chansonsängerin, die auf den großen Bühnen der Welt gestanden hat. Aber das ist lange her. Heute muss sie im Theater ihren Lebensunterhalt als Putzfrau verdienen, lebt aber immer noch in den Erinnerungen an ihre große Zeit. Ihr Mann ist tot, gegenüber den anderen glorifiziert sie ihn, aber eigentlich war sie unglücklich verheiratet und bereut, nicht seinen Bruder Paul geheiratet zu haben. Paul (Joachim Roth) ist heute ihr Chef und Portier im Theater. Und dann ist da Charlotta (Marion Hermann). Sie war Opernsängerin, der bei einem Auftritt in Mailand auf einmal die Stimme versagte und die danach ins Nichts fiel. Im Theater versucht sie nun als Kostümschneiderin zu überleben. Das Trauma dieser Situation haftet ihr immer noch an. Hubert (Niko Plantikow) war früher Tänzer, stand betrunken auf der Bühne und hat dabei bei einer Aufführung seine Partnerin fallen gelassen, die ihn dann verließ. Vom Alkohol ist er nicht weggekommen. Heute ist er als Hausmeister angestellt: Geblieben ist ihm nur das Kleid seiner Frau, das seitdem seine Puppe (Tanja Rost) trägt. Oder Else (Lenja Mosel), die als Stripteasetänzerin viele Jahre den Männern den Kopf verdreht hat, aber nie den Absprung und vor allem nie den Mann gefunden hat, der sie auffängt. Heute ist sie zu alt, um ihrem früheren Beruf nachzugehen. Im Theater ist sie als Putzfrau angestellt. Deutlich wird, dass sie keine Vorstellung von der Zukunft hat. Für alle ist das Theater die einzige Welt, die sie kennengelernt haben und von der sie daher auch nicht wegkommen.

Walli (Lena Gelfert), ist für die Maske zuständig. Für sie bleibt ihre Zeit in Paris die schönste ihres Lebens. Heute „will sie sich ihren Kummer wegschminken“ und muss zusätzlich als Souffleuse arbeiten, weil sie von der Maske alleine nicht leben kann. Ihre Unbeholfenheit als Souffleuse bringt viele komische Momente hervor, ist aber auch wiederum Ausdruck einer großen Tragik.

Einerseits witzig, andererseits aber auch unendlich tragisch sind die Dialoge, in denen all die Trauer über die verlorene Vergangenheit und die Schicksalsschläge die gesamte Bandbreite der Emotionen hervorruft, von liebevoller Zuneigung bis hin zur abgrundtiefen Gehässigkeit. Beeindruckend sind die Szenen, wie die einzelnen Personen versuchen, den Respekt vergangener Tage einzufordern und einen Rest von Selbstachtung zu bewahren.

Andere wiederum träumen von der großen Karriere, die jedoch unendlich weit entfernt ist. Dazu gehört Nepomuk (Matthias Pflüger). Als Neffe des Intendanten darf er immer wieder an Castings teilnehmen, wird aber nie genommen. Er selbst sieht sich als Genie. Unklar bleibt, ob seine Selbstüberschätzung Anlass für Mitleid oder Kopfschütteln ist.

Für Trixie (Gerda Streicher) bietet das Theater die Möglichkeit, ihre Neigung auszuleben. Als notorische Kleptomanin findet sie im Theater einen unendlichen Fundus an schönen Dingen vor. Bettie (Lena Fränzel) träumt von „Pretty Woman“. In Vermont schien sie einst die große Liebe bei einem Verleger gefunden zu haben. Das Glück währte nur kurz. Übrig geblieben ist nur ein Feuerzeug als Erinnerungsstück, das aber kaputt ist. Und der einzig richtige Schauspieler Guido (Dennis Wenzel) verlässt das Theater, weil er endlich mal authentisch sein möchte.

Eine großartige Leistung der Amateur-Schauspieler, denen das Stück alles abverlangt, was ihnen aber mithilfe ihrer Regisseurin wunderbar gelang.