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Erinnern an den Schreckenstag

Gedenken Am 20. April 1945 wurde durch einen Bombenangriff der Amerikaner ein großer Teil Dettingens zerstört. Am Kriegerdenkmal erinnert seit gestern an der St.-Georgs-Kirche ein Kranz an die Opfer. Von Iris Häfner

Roland Krämer (links) und Rainer Haußmann stellen zum Gedenken an die Kriegsopfer einen Kranz auf. Foto: Markus Brändli
Roland Krämer (links) und Rainer Haußmann stellen zum Gedenken an die Kriegsopfer einen Kranz auf. Foto: Markus Brändli

Der 20. April 1945 hat sich in das Gedächtnis der Dettinger eingebrannt: Ein großer Teil des Dorfes wurde an diesem Tag zerstört, Menschen kamen ums Leben. Aus diesem Anlass legten gestern Bürgermeister Rainer Haußmann und Dr. Roland Krämer, Erster Vorsitzender des Geschichtsvereins Dettingen, am Kriegerdenkmal nahe der Kirche Punkt 14 Uhr einen Kranz nieder. Eigentlich hätte es ein offizieller Gedenk-Akt werden sollen, doch in Corona-Zeiten gab es nur ein stilles Erinnern.

Der verheerende Zweite Weltkrieg wütete am 20. April vor 75 Jahren schon über fünfeinhalb Jahre, die Alliierten standen bereits tief in Dettingen, und das Kriegsende zeichnete sich ab. Adolf Hitler, verschanzt im „Führerbunker“ der Berliner Reichskanzlei, empfing dort zu seinem Geburtstag am 20. April zum letzten Mal Besucher.

Wertsachen wurden vergraben

Die Stimmung in der Bevölkerung war zunehmend gedrückt. Dass der „Volkssturm“ die immer näher rückenden amerikanischen Truppen aufhalten könnte, glaubten nur noch wenige. Die unentgeltliche Verteilung von Waren ohne Bezugsscheine nannte man „Hitler-Ausverkauf“. Wertsachen wurden versteckt oder vergraben. Das Sirenengeheul zur Warnung vor amerikanischen Tieffliegern gehörte bald zur Tagesordnung. Allerdings galt noch immer der Befehl Heinrich Himmlers, in einem Haus mit gehisster weißer Fahne alle männlichen Personen vom 14. Lebensjahr an zu erschießen.

Das große Unheil in Dettingen nahm dann seinen Verlauf am Nachmittag des 20. April. „Um 14 Uhr gab es den ersten Alarm, um 16 Uhr fielen die Bomben“, sagt Roland Krämer. Amerikanische Jagdbomber zogen im Tiefflug ihre Kreise über Dettingen und bombardierten vor allem das Ortszentrum mit Brand- und Sprengbomben. Die verheerende Bilanz der Zerstörung haben Pfarrer Eugen Marstaller, Professor Albert Schüle und Kreisarchivar Dr. Chris­toph Drüppel zusammengestellt. Zu beklagen waren 23 Tote - elf „Gemeindeglieder“ und zwölf Soldaten. Allein eine Familie musste sechs Tote beklagen. Es gab 69 niedergebrannte Häuser, unter anderem Kirche, Rathaus, Altes Schulhaus, Spritzenmagazin, Schlössle und jahrhundertealte Wohnhäuser. Außerdem wurden 39 Scheunen und Ställe zerstört, in denen über 100 Stück Vieh verendeten. Dazu wurden viele unersetzliche Quellen der Ortsgeschichte aus Kirche und Rathaus Opfer der Flammen.

Der Dettinger „Schicksalstag“ liegt nun 75 Jahre zurück. Aus diesem Anlass hat der Geschichtsverein Dettingen eine Reihe von Gedenkveranstaltungen geplant und vorbereitet - mit Berichten, Erinnerungen, Zeitzeugen, Ortsbesichtigungen - einschließlich der Gräber im alten Friedhof, die an die Bombardierungsopfer erinnern - und mit Vorträgen zum schrecklichen Geschehen bis hin zur Frage, warum es gerade Dettingen so schlimm getroffen hat. Diese Veranstaltungsreihe kann wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden und wird daher auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. „Wahrscheinlich werden wir es genau ein Jahr später nachholen“, vermutet Roland Krämer.

Für ihn bleibt das Thema relevant - nicht nur für die Geschichtsbücher. Wenn die Erinnerung schwindet, darf sich nicht das Vergessen ausbreiten. Geschichte werde nicht nur hingenommen, sondern gestaltet. „Die vergleichsweise kurze Zeit zwischen 1933 und 1945 ist dafür ein besonders abschreckendes Beispiel: Zwölf Jahre haben ausge­reicht, ideologische Propaganda und Verblendung zu verbreiten, einen unseligen, langen und verlustreichen Weltkrieg zu entfachen, um am Ende nach der Kapitulation mithilfe der Besatzungsmächte wieder in geordnete Bahnen zurückzufinden“, erklärt Roland Krämer. In der Pflege eines Geschichtsbewusstseins geht es seiner Ansicht nach nicht darum, nachwachsenden Generationen Schuldgefühle zu vererben, sondern aus der Geschichte die stete Mahnung abzuleiten, was es bedeutet, Verpflichtung und Verantwortung für Frieden und Freiheit wahrzunehmen. „Das Datum ,20. April‘ ist eine stete Mahnung“, sagt Roland Krämer.