Rechtliche Betreuung – noch so mancher setzt das mit dem Schreckgespenst einer Entmüdigung gleich. Doch weit gefehlt. Wir haben mit Bernd Seifriz-Geiger gesprochen, dem Geschäftsführer des Vereins für Betreuungen in Esslingen.
Was ist Rechtliche Betreuung?
Bernd Seifriz-Geiger: Wenn ich der Rechtliche Betreuer eines anderen Menschen bin, bedeutet dass, dass mir das Amtsgericht für genau definierte Aufgabenkreise die Betreuung übertragen hat. Aufgabenkreise sind beispielsweise die Gesundheitsfürsorge, die Vermögenssorge oder auch die Aufenthaltsbestimmung.
Welche Menschen haben eine rechtliche Betreuung?
Menschen mit Demenz, einer psychischen oder einer geistigen Behinderung. Sehr interessant sind die Zahlen für unseren Landkreis: Wir sind einer der Landkreise mit den wenigsten Rechtlichen Betreuungen bezogen auf die Einwohnerzahl. Bundesweit!
Woran liegt das?
Ich glaube, dass hier die sozialen Netzwerke noch relativ gut funktionieren. Und was typisch ist für unser Bundesland: Hier stellen die Notare relativ häufig Vollmachten aus und wenn ich als Bürger das rechtzeitig veranlasse, brauche ich im Alter unter Umständen keine Rechtliche Betreuung.
Warum gibt es denn diese verschiedenen Aufgabenkreise der Rechtlichen Betreuung?
Seit 1992 gibt es die Entmündigung nicht mehr – glücklicherweise. Das bedeutete nämlich eine Vormundschaft in allen Bereichen. Die Menschen mit einer geistigen Behinderung waren nicht geschäftsfähig. Sie durften nicht mal ein eigenes Bankkonto eröffnen. Im jetzigen Betreuungsrecht wird die umfassende Rechtliche Betreuung in allen Bereichen nur im äußersten Notfall ausgesprochen. Und auch hier ist eine Zahl sehr interessant: Im Jahr 2020 gab es im Landkreis Esslingen keine einzige neue Rechtliche Betreuung in allen Angelegenheiten mehr.
Und was bedeutet das jetzt – Ich habe beispielsweise die Rechtliche Betreuung im Bereich Gesundheitsfürsorge. Und die Betreute hat Husten und will nicht zum Arzt. Und dann entscheide ich: Du gehst jetzt!
Nein. Die Entscheidungen müssen sich am Wohl und Wunsch des Klienten orientieren. Und im neuen Betreuungsrecht ab 2023 wird das Wort „Wohl“ gestrichen. Es geht nur noch um den Wunsch des Patienten.
Und wenn der betreute Mensch jetzt nicht zum Arzt will?
Dann will er nicht zum Arzt. Wir als Betreuer treffen nicht einfach so stellvertretende Entscheidungen. Wir leiten eine unterstützte Entscheidungsfindung ein. Das heißt, ich unterstütze bis zur selbständigen Entscheidung. Und das kann eben auch bedeuten, dass ein Mensch mit Rechtlicher Betreuung in der Gesundheitsfürsorge sich nicht behandeln lassen will, wegläuft, sich wehrt. Dann ist das sein natürlicher Wille und niemand wird ihn festhalten. Der Wunsch des Betreuten steht im Mittelpunkt.
Immer?
Ja. Deshalb müssen Ärztinnen auch Menschen mit Rechtlicher Betreuung immer fragen, ob sie beispielsweise geimpft werden möchten. Das wissen aber nicht alle Ärztinnen und Ärzte. In ganz wenigen Ausnahmefällen kann es einen richterlichen Beschluss geben, der dann über den Willen des Betreuten hinweg geht. Da gibt es aber in Deutschland sehr hohe Hürden. Ein Beispiel wäre die Zwangsernährung einer magersüchtigen Frau, die ohne Ernährung sicher sterben würde.
Aber die unterstützte Entscheidungsfindung – wann gelingt sie?
Sie braucht vor allem Zeit. Uns interessiert nicht so sehr, was die Nachbarn sagen, wir sind dem Betreuten verpflichtet. Und wenn ein Klient Zeitungen in seiner Wohnung stapeln möchte, weil er sie immer wieder durchblättern will und anderes vielleicht nicht wegschmeißen kann, dann ist das vollkommen in Ordnung. Aber natürlich kann auch der Punkt erreicht sein, dass die Wohnung dann vielleicht vermüllt ist. Und die Nachbarn wollen das nicht mehr ertragen. Vielleicht muss ich das dann auch einfach aushalten. Und um das gut zu schaffen, arbeiten wir Betreuerinnen und Betreuer auch viel mit Supervision und Austausch untereinander.
Ist das Aushalten anstrengend?
60 Prozent aller Rechtlichen Betreuungen werden ehrenamtlich von Angehörigen übernommen, den Eltern, Geschwistern und Kindern. Und mit enger Bindung aneinander fällt das Aushalten vielleicht noch mal schwerer. Ehrenamtliche Betreuer können sich aber immer auch an den Verein für Betreuungen wenden, wir beraten und unterstützen. Ein Problem haben wir ehrenamtlichen und beruflichen Betreuer aber sicherlich gemeinsam: Die unterstützte Entscheidungsfindung braucht Zeit und wird nicht ausreichend honoriert. Ehrenamtliche bekommen 400 Euro im Jahr für die Rechtliche Betreuung. Eine berufliche Rechtliche Betreuerin muss mit einer Vollzeitstelle 55-65 Betreuungen im Monat übernehmen, so sind die Kostensätze. Sie hat bei Heimbewohnern umgerechnet zwei Stunden pro Klient im Monat. Wie soll das funktionieren?
Bei Fragen und für weitere Informationen:
Verein für Betreuungen e.V.
Katharinenstr. 46
73728 Esslingen
Tel.: 0711 882409-10
info@verein-fuer-betreuungen.de