Forschungsarbeiten auf der Forschungsstation für Vogel- und Insektenzug Randecker Maar belegen dramatische Einbrüche bei Insekten. In einer europaweit einmaligen Langfriststudie haben Insektenkundler innerhalb von zwei Versuchsreihen Rückgänge von rund 97 Prozent innerhalb von 50 Jahren, beziehungsweise circa 85 Prozent innerhalb einer 40-jährigen weiteren Studie bei ziehenden Insekten nachgewiesen.
Die Ergebnisse stammen von der Forschungsstation Randecker Maar, die 1969 von dem Kirchheimer Dr. Wulf Gatter gegründet wurde. Sie ist die einzige Forschungsstation in ganz Europa, in der Vergleiche ziehender Insekten mit wissenschaftlichen Erfassungen vor 50 Jahren möglich sind.
„Was wir heute noch sehen, ist niederschmetternd“, sagt Gatter. „Eigentlich lohnt es sich gar nicht mehr, Fangreusen für Insekten aufzustellen, weil es so wenige sind, wo noch vor 40 oder 50 Jahren die Luft flimmerte von Tausenden ziehender Schwebfliegen.“
Die Schwebfliegen sind mit zwei Methoden erfasst worden. Seit 1970 seien viermal stündlich je eine Minute die südwärts ziehenden Schwebfliegen gezählt worden. Der Vergleich der ersten fünf Jahre ab 1970 mit den Werten der Jahre 2014 bis 2019 zeige bei der größten und artenreichsten Gruppe, deren Larven räuberisch vor allem von Blattläusen leben, einen Rückgang um 97 Prozent. „Das ist noch deutlich dramatischer als der Rückgang, den unsere Kollegen im Rahmen der Krefelder Studie nachgewiesen haben“, kommentiert Gatter.
Ein zweite Erfassungsmethode waren am Maar aufgestellte Insektenreusen. Sie werden bei geeignetem Wetter stündlich kontrolliert. Der Vergleich der Erhebungen von 1978 bis 1987 mit denen von 2014 bis 2019 zeigt einen Rückgang von rund 90 Prozent bei den Schwebfliegen. Waffenfliegen und Schlupfwespen gingen im selben Zeitraum um 84 Prozent bzw. 86 Prozent zurück. „In weit über 100 000 Stunden überwiegend ehrenamtlicher Tätigkeit und ermöglicht durch Spenden haben wir einen wohl schon historischen Rückgang der Insektenzahlen belegt. Jetzt liegt es an der Politik, einschneidende Maßnahmen zum Schutz von Insekten und unserer gesamten biologischen Vielfalt zu ergreifen“, fordert Gatter.
„Die Studie vom Randecker Maar verstärkt alle bisherigen Forschungsergebnisse zum Rückgang der Insekten in Deutschland“, kommentiert der Entomologe Professor Lars Krogmann vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart. „Die gesammelten Daten zeigen dramatisch eine kontinuierliche Verarmung unserer heimischen Insektenvielfalt. Weltweit einmalig ist auch die Erfassung des Rückgangs von Schlupfwespen. „Dank der weltweit einmaligen Leistung der Mitarbeiter der Forschungsstation Randecker Maar haben wir erstmals Einblicke in den langfristigen Rückgang verschiedener Insektengruppen. Für die Zukunft benötigen wir die Fortführung und öffentliche Finanzierung von langfristigen Bestandsuntersuchungen wie am Randecker Maar, damit wir Trends erkennen können“, schlägt Krogmann vor.
Die Studie an den Schwebfliegen ist exemplarisch für den Verlust von Quantität und Vielfalt der Insekten generell zu werten. Als „einen katastrophalen Spiegel unseres menschlichen Umganges mit der Natur“ bezeichnet deshalb Dr. Markus Rösler als früherer Mitarbeiter der Forschungsstation und heutiger naturschutzpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag die Ergebnisse. „Wenn Wissenschaftler uns zeigen, dass solch dramatische negative Trends erst nach Jahrzehnten erkennbar sind, müssen wir Monitoring dauerhaft im Haushalt absichern.“ Die Ergebnisse von Gatter spiegelten die großflächige Artenverarmung über Tausende von Quadratkilometern wider. Die vom Landtag beschlossenen Ziele und Maßnahmen zur Erhöhung von Bio-Landbau und Pestizidreduktion, zu Bio- topverbund und Lichtverschmutzung, die verbesserte Ausstattung von Landschaftspflegemaßnahmen für artenreiche Wildblumenwiesen und Streuobstwiesen als Rückzugsräume für Insekten müssten deshalb nach Meinung des Naturschutzpolitikers weiter gestärkt werden. Dazu sollte nach Angaben Röslers auch eine Erhöhung des Naturschutzetats auf 150 Millionen Euro gehören. „Der Stopp des Artenschwundes wird eine der zentralen Aufgaben für die nächste Landesregierung sein müssen“, ist sich Rösler sicher. pm