Sina und Emre, beide 18 Jahre alt, geben ihren Protestschildern in der S-Bahn gerade noch den letzten Schliff, als der Zug am Samstag in den Esslinger Bahnhof einfährt. Vier Stunden lang hätten sie sich für den ersten offiziellen Esslinger Christopher Street Day (CSD) schick gemacht, erzählen die beiden. An jedem anderen Tag hätten sie wohl viele Blicke auf sich gezogen: Beide sind aufwendig geschminkt und bunt gekleidet, und Emre ist auffallend androgyn.
An diesem Tag aber fügen sie sich nahtlos in das bunte Menschenmeer, das bereits am Bahnhofplatz auf den Beginn der Demonstration wartet. Dennoch ist den beiden etwas mulmig zumute, denn mit Anfeindungen sei immer zu rechnen. Aber für die Rechte der Schwulen, Lesben, Transsexuellen, Bi- und Asexuellen einzustehen, sei wichtiger. Die Angst bleibt an diesem Tag unbegründet: Laut dem Pressesprecher der Polizei sind Übergriffe wie beim CSD Reutlingen ausgeblieben. Nur in einem Fall wurde eine Gruppe junger Männer nach Angaben der Veranstalter beleidigend.
„Ich bin absolut baff“, bilanziert Daniel Krusic. Mit einem Team von rund 50 Ehrenamtlichen hat er die Veranstaltung organisiert. „Wir hatten mit 500 Teilnehmern gerechnet. Ich habe immer noch Gänsehaut.“ Denn laut der Polizei zählt der Demonstrationszug 1200 bis 1500 Menschen. Bei der anschließenden Kundgebung sind es nach Angaben der Veranstalter sogar an die 2000 Menschen – das ist in diesem Jahr bislang die größte Demonstration in Esslingen.
Natürlich zieht das bunte Treiben auch viel Publikum an. Auf dem Weg in die Altstadt wird der Umzug mit einer mehrere Meter langen Regenbogenfahne begrüßt. Viele Zuschauer zeigen sich solidarisch und tragen T-Shirts in Regenbogenfarben, klatschen und filmen die farbenfrohe Demonstration. Auch auf den Tischen mehrerer Cafés stehen kleine Pride-Fähnchen.
Florian (41) wohnt unweit des Marktplatzes und besucht die Kundgebung mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter. „Jeder soll für sich entscheiden, was er möchte“, antwortet er auf die Frage, was er von der Diskussion halte, die gerade in Bayern stattfindet: CSU-Politiker wollen Lesungen von Dragqueens für Kinder verbieten. Bei Urlauben in Asien habe er erlebt, dass in anderen Kulturen Homo- und Transsexualität bereits als Selbstverständlichkeit wahrgenommen werde, erzählt er. Der CSD Esslingen ist aus seiner Sicht nötig, um den konservativen Teilen der Bevölkerung den queeren Lebensstil näherzubringen.
Unter den Demonstrierenden sind auch die Vorreiter im Kampf für queere Rechte in Esslingen: Markus Tröster, einer der Initiatoren der ersten Schwulen- und Lesbendemo 1988, ist mit zwei Freunden dabei. „Ich finde es klasse, dass das stattfindet“, sagt er und freut sich, dass die Teilnehmerzahl so viel größer ist als einst – 1988 hatten Medienberichten zufolge 350 Menschen demonstriert. „Damals wurden wir wie Aliens wahrgenommen. Das ist mittlerweile ganz anders geworden, und ich finde es toll.“
Auf der Kundgebung auf dem Marktplatz nimmt Yalcin Bayraktar, der Esslinger Bürgermeister für Ordnung, Soziales, Bildung, Kultur und Sport, stellvertretend für die Stadtverwaltung die Liste der Forderungen der Demonstranten entgegen. In einer kurzen Rede prangert er die Gewalt gegen queere Menschen in Deutschland an. Deshalb sei es ein „historischer Moment für Esslingen“, dass der CSD jetzt auch hier stattfinde.