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Esslinger „Solar-Rebellen“ gehen in die Offensive

Energiewende Eine Gruppe von Hausbesitzern und Ladenbetreibern erhebt Vorwürfe gegen die Stadt Esslingen. Ein Gutachten soll belegen, dass das Verbot von Solarmodulen auf Altstadtdächern rechtswidrig ist. Von Simone Weiß

Sie nennen sich „Solar-Rebellen“, und sie werfen der Stadt Esslingen rechtswidriges Verhalten vor. Eine Gruppe von Hauseigentümern und Ladenbetreibern in der Altstadt hat ein juristisches Gutachten zur Absage der Verwaltung an Photovoltaikanlagen auf den Dächern der historischen Esslinger Altstadt vorgelegt. Die auf Verwaltungsrecht spezialisierte Hamburger Anwaltskanzlei Günther meldet darin „erhebliche rechtliche Bedenken“ mit Blick auf die ablehnende Haltung der Stadt in dieser Streitfrage an. Die Verwaltung steht Solarmodulen in der Innenstadt wegen möglicher Beeinträchtigungen des Gesamterscheinungsbilds, befürchteter Schädigungen der Gebäudesubstanz und negativer Auswirkungen auf den Tourismus kritisch gegenüber.

Thomas Kielmeyer sieht das anders. Der „Solar-Rebell“, Architekt und Besitzer des Kielmeyer-Hauses am Marktplatz in Esslingen redet sich bei dem Thema schnell in Fahrt. Er vergleicht die städtische Haltung mit Blick auf Solarmodule in der Altstadt mit dem Gebaren der Inquisition, denn die Verwaltung verdamme PV-Anlagen als „Teufelszeug“. Moderne Autos dürften vor seinem Gasthaus am Marktplatz parken, Flugzeuge dürften darüber fliegen – warum er dann keine Solaranlagen auf dem Dach installieren dürfe, fragt Kielmeyer. Esslingen dürfe nicht zu einem angestaubten Museumsdorf verkommen, findet er.

Kielmeyer und weitere Anwohner der Esslinger Innenstadt haben auf eigene Kosten das Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Das umfassende Papier belegt laut Kielmeyer ganz klar: Das derzeit in Erstellung befindliche städtische Solarkataster, das Bauvorschriften für die Altstadt beinhalten soll, sowie die städtische Gesamtanlagensatzung aus dem Jahr 2005 seien mit Bundes- und Landesgesetzgebung nicht vereinbar. Der Denkmalschutz, schreiben die „Solar-Rebellen“ in einer Mitteilung, müsse sich dem öffentlichen Interesse am Klimaschutz, der durch Solaranlagen gefördert werde, unterordnen. Vorrang hätten auch die berechtigten Wünsche von Bauherren und Baueigentümern nach einer preiswerten Methode zur Energiegewinnung etwa durch Solarmodule. Nur so könnten die historischen Gebäude mit Blick auf den kostspieligen Unterhalt erhalten werden: „Innovation und Mut zu pragmatischen Lösungen gehen vor denkmalpflegerischer Regelungswut.“

Die „Solar-Rebellen“ kritisieren auch die Informationspolitik und die aus ihrer Sicht fehlende Bürgernähe der Stadt. „Eine Verwaltung muss die Eigentümer auf ihrem Weg zu Klimaneutralität unterstützen“, fordert Andreas Walter, der Inhaber des Spiel- und Lederwarengeschäfts Heiges in der Altstadt. Gerade in einer Ingenieurstadt wie Esslingen müssten innovative Wege ermöglicht und neue Ideen gegen den Klimawandel auch im Denkmalschutz sichtbar sein.

Die Stadtverwaltung zeigt sich ob der juristisch untermauerten Attacke gelassen. Die Stadt nehme das Gutachten zur Kenntnis und prüfe den Inhalt, sagte Baubürgermeister Hans-Georg Sigel: „Darüber hinaus sind die Bürgerinnen und Bürger, die dieses Gutachten in Auftrag gegeben haben, weiterhin eingeladen, den Prozess konstruktiv zu begleiten.“ Anders als von den „Solar-Rebellen“ vorgeworfen, würden die Vorschriften des Landes Baden-Württemberg keinesfalls ignoriert. Im Gegenteil: Das in Arbeit befindliche Solarkataster mit Bauvorschriften für die Esslinger Altstadt solle die Zulässigkeit von PV-Modulen in der Gesamtanlage nach den vom Land vorgegebenen Leitlinien nachvollziehbar regeln, so Sigel.

Der Bürgermeister begründet das Vorgehen der Stadt mit Blick auf PV-Anlagen in der Altstadt zudem mit einem Beschluss des Gemeinderats. Das Gremium habe die Verwaltung im November vergangenen Jahres mit der Ausarbeitung eines Modellprojekts zur denkmalverträglichen Energiewende in der Stadt beauftragt. Seit Anfang des Jahres arbeiteten die Planer intensiv an diesem Projekt. Teil und wichtiger Baustein sei das Solarkataster. Im Herbst dieses Jahres solle in einer öffentlichen Sitzung des Gemeinderats erneut über den Zwischenstand des Projekts und die nächsten Schritte berichtet werden, kündigte der Baubürgermeister an.

Die Meinung der Bevölkerung fließe zudem in den Entscheidungsprozess über die PV-Anlagen in der City ein. Im Mai habe eine öffentliche Informations- und Diskussionsveranstaltung für die Bürgerinnen und Bürger stattgefunden, und das Thema werde regelmäßig in den Ausschüssen des Gemeinderats behandelt.

Das beschwichtigt die „Solar-Rebellen“ jedoch nicht. Thomas Kielmeyer bleibt auf Konfrontationskurs. Zwei Anträge zur Installation von Photovoltaikanlagen auf dem Dach seines Hauses am Marktplatz habe die Stadt bereits abgelehnt. Bald wolle er einen dritten stellen – und bei erneuter Ablehnung die Gerichte bemühen.