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Familie droht die Obdachlosigkeit

Verzweiflung Die Wohnungsnot im Kreis Esslingen ist groß. Die Moreiras aus Wolfschlugen berichten von ihrer Suche nach einem neuen Heim.

Wolfschlugen. Der kleine Weihnachtsbaum im Wohnzimmer neben der Couch ist bunt geschmückt. Passend dazu trägt der zweijährige Aurelio heute seinen Rentierpullover und strahlt über beide Ohren. Ihm und seinem vierjährigen Bruder Emilio wollten Ines und Pedro Moreira eine möglichst sorgenfreie Weihnachtszeit bereiten. Für das Ehepaar war es kein Fest wie in den vergangenen Jahren. Die ständige Angst davor, bald kein Zuhause mehr zu haben, war und ist allgegenwärtig.

Als die Familie vor drei Jahren in die Wohnung in Wolfschlugen einzog, war klar, dass sie nur drei Jahre bleiben kann. „Das Mietverhältnis war von Anfang an befristet. Damals war das für uns kein Problem“, sagt Ines Moreira: „Wir haben den Vermieter sogar gefragt, ob es in Ordnung wäre, wenn wir früher ausziehen, falls wir schnell etwas Neues finden.“ Eine fatale Fehleinschätzung des Wohnungsmarkts. Seit einem Jahr sucht die Familie intensiv nach einer neuen Wohnung – ohne Erfolg. „Wir haben uns bestimmt 40 Wohnungen angeschaut“, sagt Ines Moreira. Entweder habe es Absagen oder gar keine Rückmeldung gegeben.

Mittlerweile ist die Frist abgelaufen, die derzeitige, 67 Quadratmeter große Wohnung ist verkauft, die Familie hätte bereits im November ausziehen müssen. Sie bekamen einen Aufschub bis Januar, danach droht die Obdachlosigkeit. „Im schlimmsten Fall werden wir wohl in einer Obdachlosenunterkunft untergebracht“, befürchtet die 38-Jährige.

Seit Jahren ist der Wohnungsmarkt im Kreis Esslingen angespannt. Doch bei Familie Moreira kommt erschwerend hinzu, dass sie auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen ist. Der vierjährige Emilio ist schwerst-mehrfachbehindert. Mit fünf Monaten wurde bei ihm Lissenzephalie diagnostiziert – eine seltene Fehlbildung des Gehirns. „Die Ärzte meinen, er habe keine lange Lebenserwartung“, so Ines Moreira. „Seitdem ist jeder Tag ein Kampf.“ Zeit seines Lebens wird der Junge auf einen Rollstuhl angewiesen sein. Treppen sind ein Problem, mittlerweile auch für Emilios Mutter: „Weil Emilio immer getragen werden muss, habe ich mittlerweile den dritten Bandscheibenvorfall“, sagt sie.

Auch die finanziell begrenzten Mittel erschweren die Wohnungssuche. Weil sie ihren Sohn daheim pflegen muss, kann Ines Moreira nicht arbeiten, bekommt aber Pflegegeld. Der 34-jährige Pedro ist Industriemeister. „Unsere Höchstgrenze liegt bei 1500 Euro Warmmiete“, sagt Ines Moreira. „In der Wohnung selbst können sogar Treppen sein, solange das Zimmer von Emilio im Erdgeschoss ist“, sagt die Familienmutter. Selbst kleine Mängel seien kein Problem. „Mein Mann kann vieles selber reparieren.“

Dass Familien mit Kindern große Schwierigkeiten haben, im Kreis Esslingen eine Wohnung zu finden, ist keine Seltenheit. Der Wohnungsmarkt ist hart umkämpft, sagt Udo Casper, Vorsitzender des Mieterbundes Esslingen-Göppingen. „Aber bestimmte Bevölkerungsgruppen haben es noch schwieriger als andere“, so Casper. „Dazu zählen Familien mit mehreren Kindern und Menschen mit Migrationshintergrund.“ Zudem steige die Nachfrage nach barrierefreien Wohnungen, von denen es zu wenige gibt. Mit dem Projekt „Stark-ES“ hatte es sich der Kreisdiakonieverband Esslingen 2022 zur Aufgabe gemacht, Familien bei der Wohnungssuche zu unterstützten. Ende des Jahres läuft es aus.

Sechs Elternpaare und ihre Kinder haben am Ende eine Wohnung gefunden. Andere suchen noch immer. „Für viele Vermieter sind Kinder ein Ausschlusskriterium“, sagt Reinhard Eberst, Leiter des Diakonischen Grunddienstes und der Diakonischen Bezirksstelle Kirchheim. „Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass Familien mit mehreren Kindern große Wohnungen brauchen.“ Die seien häufig zu teuer. Mittlerweile hat sich auch die Gemeinde Wolfschlugen eingeschaltet und hilft Familie Moreira bei der Suche nach einem Heim. „Im Rahmen der Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine haben wir mehrere Wohnungen angemietet und auch der Familie Moreira angeboten“, so Bürgermeister Matthias Ruckh. „Die Krux an der Sache ist, dass es eine hundert Prozent barrierefreie Wohnung sein muss, mit stufenlosem Zugang.“

Als letztes Mittel kann die Gemeinde Wolfschlugen selbst der Familie einen sechsmonatigen Aufschub gewähren. Sollte auch diese Zeit nicht reichen, um eine Wohnung zu finden, müssten sie in letzter Konsequenz von der Gemeinde in einer Obdachlosenunterkunft untergebracht werden. Sollte sich ein Eigentümer finden, der gewillt ist Wohnraum zur Verfügung zu stellen, könnte die Gemeinde als Mieter einspringen und an Familie Moreira untervermieten. Matthäus Klemke