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Feinwerkzeuge statt Baggerschaufeln

Siedlungsreste und Knochen: Archäologen des Landesdenkmalamts sind der Frühgeschichte Dettingens auf der Spur

Eigentlich sollte an der Kirchheimer Straße in Dettingen eine Baugrube ausgehoben werden. Archäologen haben hier aber neben Siedlungsresten aus dem Mittelalter Gräber aus der Steinzeit entdeckt. Bis Anfang Juli ruhen die Bauarbeiten.

Im Ortszentrum von Dettingen wurden bei Bauarbeiten für ein Wohnprojekt Hinweise auf eine früh- bis spätmittelalterliche Besiedl
Im Ortszentrum von Dettingen wurden bei Bauarbeiten für ein Wohnprojekt Hinweise auf eine früh- bis spätmittelalterliche Besiedlung sowie menschliche Überreste aus der Steinzeit (kleines Bild) entdeckt.Fotos: Jacques/Denkmalamt

Dettingen. „Es sind keine spektakulären Funde, aber wichtig sind sie trotzdem“, sagt Dr. Jonathan Scheschkewitz vom Landesamt für Denkmalpflege. Schon vor einigen Jahren wurden in Dettingen Reste von alemannischen Gräberfeldern gefunden. Deshalb sind die jüngsten Entdeckungen für ihn nur wenig verwunderlich. „Schon die Ortsendung -ingen deutete eine frühe Siedlungsgründung an.“

Als wissenschaftlicher Grabungsleiter ist Scheschkewitz seit dem 4. März mit einem fünfköpfigen Team in Dettingen, um die Ausgrabung zu dokumentieren. Dabei wird mit modernen Mitteln gearbeitet. Eine Kameradrohne hat etwa die Oberfläche erfasst, um den Gesamtplan schnell zur Verfügung zu haben. „Eine enorme Zeitersparnis – die Digitalisierung hat auch in die Archäologie Einzug gehalten“, meint Scheschkewitz schmunzelnd. Anhand der auch nach Hunderten von Jahren noch deutlich erkennbaren Erdverfärbungen durch sogenannte Pfostengruben wird versucht, die Gebäudegrundrisse zu rekonstruieren. „Wir haben hier Siedlungsphasen aus der Zeit des Früh- bis Hochmittelalters, die sich überlagern“, erläutert Scheschkewitz.

Unter dem konkreten archäologischen Fundmaterial befand sich bisher neben Ton- und Keramikscherben sowie Eisenfragmenten eine Gewandnadel, die nach bisherigen Erkenntnissen aus dem sechsten oder siebten Jahrhundert stammt. „Es sind Stücke wie diese, die eine zeitliche Zuordnung erleichtern“, ergänzt der Archäologe.

Außerdem wurden Knochen und Keramikfragmente entdeckt, die wohl vorgeschichtlicher Herkunft sind. „Durch den kiesigen Boden sind die Gebeine leider größtenteils zerdrückt worden“, erklärt Grabungstechnikerin Anika Janas. Die Bestattung des Toten in hockender Position und Grabbeigaben, wie beispielsweise eine bearbeitete Flintklinge, sprechen für die Steinzeit. Die Geschichte des Ortes müsse deshalb aber nicht neu geschrieben werden: „Es handelt sich hier nicht um den ‚ersten Dettinger‘, auch wenn das gerne daraus gemacht wird“, betont Scheschkewitz. Der Tote sei sehr lange vor der ersten dauerhaften Besiedlung in späteren Zeitaltern hier beigesetzt worden. Für endgültige Einschätzungen ist es aber noch zu früh: „Wir sind noch eine Weile beschäftigt.“

Die Baustelle muss bis zum 3. Juli geräumt sein, so ist es mit der Firma Wohnbau Birkenmaier abgesprochen. „Wir haben natürlich Verständnis für die Maßnahme, immerhin kommen die Erkenntnisse der Allgemeinheit zugute“, sagt Helmut Kapp, Architekt und Geschäftsführer bei Wohnbau Birkenmaier. Die Bauverzögerung von gut drei Monaten sei zu verschmerzen. Viel ärgerlicher sei aber, dass die Ausgrabungen Mehrkosten in Höhe von rund 100 000 Euro verursachen. Grund dafür ist das sogenannte „Verursacherprinzip“, das Kommunen und Firmen in Baden-Württemberg dazu verpflichtet, einen Anteil von bis zu zwei Prozent der Gesamtbaukosten für eventuell anfallende historische Ausgrabungen beizusteuern. „Private Bauherren werden nicht zur Kasse gebeten – das ist ungerecht“, sagt Kapp. Immerhin habe die Gemeinde Dettingen sich in einer nicht öffentlichen Sitzung dazu bereit erklärt, einen angemessenen Teil der reinen Grabungskosten zu übernehmen, bestätigt Hauptamtsleiterin Claudia Dörner.

Sobald die Ausgrabungen beendet sind, entstehen auf dem Grundstück an der Kirchheimer Straße 27 – 33 drei Gebäude mit insgesamt 28 barrierefreien Wohnungen. Außerdem wird die Dettinger Seniorenhilfeeinrichtung „Forum Altern“ dort ihr neues Zuhause finden. „Mit Baubeginn im Juli sind die Häuser voraussichtlich Ende 2016 bezugsfertig“, schätzt Kapp.

Auf der Baustelle für das Quartier (Forum Altern) wurden Siedlungsreste gefunden. Ausgrabungen
Auf der Baustelle für das Quartier (Forum Altern) wurden Siedlungsreste gefunden. Ausgrabungen