Notzingen / Köngen. Manchmal fliegen die Probleme einem geradezu ins Haus. Im Fall von Dieter Schneider konnte der Steinkauz nicht einmal mehr fliegen – ein Schornsteinfeger überbrachte ihm den ungewöhnlichen Fund: rußgeschwärzt und vom Abenteuer gezeichnet. Das ist nunmehr 40 Jahre her. Schneider hatte sich „direkt in den kleinen Kerl verliebt“. Seiner Entzückung ließ er Taten folgen und gründete 1976 die NABU-Steinkauzgruppe.
Seinerzeit waren die kleinen Eulen in der Region zwischen Kirchheim und Köngen ausgerottet. Dank Schneider und seiner Mitstreiter hat sich die Situation entspannt. In Zahlen ausgedrückt: 1980 wurde ein einziges Brutpaar mit vier Jungen gezählt, 2015 waren es 25 Brutpaare und 65 Jungvögel.
Mehr als 50 Augenpaare haften an Dieter Schneider, als er am Friedhof in Köngen diese Geschichte erzählt. Ein grauer Schnauzer umrahmt sein keckes Grinsen, er trägt Kurzarmhemd und Pilotenbrille. T-Shirt-Wetter am Abend, das hat es die ganze Woche nicht gegeben. Ohne seine Komplizen fände sie nicht statt, das stellt Schneider gleich zu Beginn klar. Zwei junge Männer, Jens Polzien, 19, und Philipp Rössler, 22, teilen Schneiders Leidenschaft für die kleinen Eulen. Rössler verteilt nach der Begrüßung und vor der Wanderung zur Brutstelle den neuesten Flyer. Unterwegs wird er viele Fragen beantworten, Kinder zum Staunen und ihre Eltern zum Aufhorchen bringen.
Rössler, Polzien und Altmeister Schneider sprechen die Sprache der Profis, man könnte sie für Vollzeit-Ornithologen halten. „Die beiden Jungs sind schon lange dabei“, sagt Schneider, „aber wir suchen händeringend Nachwuchs.“
Vorbei an saftigen Wiesen und dem herbsüßen Geruch von Pferdeäpfeln marschieren die Vogelfreunde zur Streuobstwiese nahe der Köngener Pferdehöfe, wo die Steinkäuze Unterschlupf gefunden haben. Ein Blick durch die Menge zeigt: Naturschutz füllt Felder, begeistert Jung und Alt. Um manch einen Hals baumelt eine Fotokamera. Frauen mittleren Alters in blumenbedruckter Tunika und sportliche Ruheständler in Wandermontur wandern mit, ein Mittsechziger erklärt seinen Enkelkindern geduldig, wann es los geht.
Dann ist es so weit: Rössler und Polzien kommen strammen Schritts von jenem Birnbaum in dem die jungen Eulen weilten, auf die Gruppe zumarschiert. Dass heute fünf gesunde Steinkäuze geborgen werden können, ist der Vorbereitung des NABUs zu verdanken. Das ganze Jahr über sind sie im Einsatz für die kleinen Eulen. Sie erkunden das Brutgebiet, wählen geeignete Bäume aus und bauen Brutröhren, in denen Steinkäuze sicher sind vor ihren natürlichen Feinden – allen voran: Marder und Katzen.
Routiniert zieht Philipp Rössler das erste Tier aus dem Stoffbeutel. Es ist kaum einen Handteller groß, ein wenig struppig, blickt hilflos drein und zieht sofort alle in seinen Bann.
Fünf Jungtiere gilt es zu vermessen und zu beringen, nach einer Betätschel- und Fotorunde schreitet das Team des NABUs zur Tat: Mit einer roten Zange bringt Rössler den ersten Ring an, ein silbernes Aluminiumplättchen mit Prägung, ausgestellt von der Vogelwarte in Radolfzell. Daneben kniet Polzien, ein iPad auf dem Schoß. In einer Tabelle notiert er sorgfältig die neuesten Kennzahlen, die sein Kollege verkündet.
HF77438 hat sich in Rösslers Schoß festgekrallt. Die gelben Augen blicken neugierig den vielen neuen Eindrücken entgegen. „2,92 Zentimeter Tarsus (Fußwurzel, ein wichtiger Indikator für die Altersbestimmung), 125 Gramm Körpergewicht.“
Rössler und Polzien sind voll in ihrem Element, bei der Vermessung tauschen sie Worte aus, die wie Zahnarztsprache klingen: „F1, F2?“ – „4 und 4,7 Zentimeter!“ – die ‚F‘s stehen für die Gefiederlänge.
„Der aktuelle Jahrgang ist nicht sehr kräftig ausgefallen“, sagt Schneider mit besorgter Stimme. Wegen des schlechten Wetters mussten die jungen Vögel sich mit weit mehr Regenwürmern und weniger Mäusen zufrieden geben. Er fischt das nächste plustrige Jungtier aus dem Stoffbeutel. „Der sieht ja ganz anders aus!“, ruft ein kleiner Junge in Sporttrikot. Schneider tätschelt das Tier. „Die sind wie Kinder für mich“, murmelt er zufrieden.