Kirchheim. Es ist noch nicht lange her, da ging es mit den Schülerzahlen an der Alleenschule immer nur in eine Richtung: bergab. Nach dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung wurde die Werkrealschule zum Auslaufmodell – und die Alleenschule zum Wackelkandidaten.
Mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen hat sich das Blatt gewendet. „Alle Räume, die durch die zurückgehenden Schülerzahlen frei geworden sind, sind heute wieder belegt“, sagt Rektor Uwe Häfele. Besuch in einer Vorbereitungsklasse der Sekundarstufe I (VKL I). 26 Schüler beugen sich über ihre Deutschhefte. Zu Beginn des Schuljahrs saßen sie hier zu dreizehnt. Seit Sommer explodieren die Schülerzahlen in den Vorbereitungsklassen. Zurzeit hat Häfele jede Woche drei Neuanmeldungen.
Die VKL I – sie ist nur eine von drei Vorbereitungsklassen an der Alleenschule – wird nun geteilt. Das Schulamt hat Lehrerstunden bewilligt. Häfele befürchtet, dass sie nicht lange reichen werden. Immer wieder kommen neue Flüchtlinge hinzu, im Schnitt pro Woche zwei bis drei. Dass die Alleenschule neuerdings ältere Schüler aufnehmen soll, weil die Vorbereitungsklassen (VABO) an den Berufsschulen voll sind, macht die Sache auch nicht besser. „Vermutlich werden wir die Klasse im November oder Dezember erneut teilen müssen“, sagt Häfele. In welchen Räumen die Flüchtlinge unterrichtet werden sollen und von wem, steht in den Sternen. Häfele kann nur hoffen, dass das Schulamt sich noch einmal großzügig zeigt.
Im Klassenzimmer der VKL I schwirren viele Sprachen durch den Raum. Die Schüler kommen aus Afghanistan, Syrien, Mazedonien, Serbien, Kroatien. Nicht alle sind Flüchtlinge. Auch Spätaussiedler sind darunter. Die meisten sind mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen, manche sind minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. So wie der Junge, der mit leerem Blick ganz hinten sitzt. „Bei ihm vermuten wir, dass er traumatisiert ist. Er weiß nicht, wo seine Eltern sind, seine Schwester wurde erschossen, er hat selbst eine Schussverletzung“, sagt Lehrerin Sigrid Reusch. Unaussprechliches Leid. In der Vorbereitungsklasse gehört es zum Alltag.
Es gebe keine Klasse, in der die Lehrkräfte mit einer solchen Vielfalt klarkommen müssten wie in der VKL I, sagt Uwe Häfele. Kinder mit Narben an Körper und Seele, denen die Flucht noch in den Knochen steckt. Schüler, die eigentlich auf die Förderschule gehören, andere, die das Potenzial haben, ein Gymnasium zu besuchen. Eine Altersspanne von zehn bis 16 Jahren. Dazu völlig unterschiedliche Lernstände. Manche Kinder könnten schon sehr viel, andere müssten erst einmal alphabetisiert werden.
In der Vorbereitungsklasse lernen Flüchtlinge und Spätaussiedler zwölf Wörter pro Woche. Sie werden ständig geübt und wiederholt, damit sie in den aktiven Wortschatz übergehen. Die Kinder werfen sich gegenseitig einen Softball zu. Der Werfer stellt eine Frage, der Fänger antwortet. „Wie lange bist du schon in Deutschland?“, „Wie alt bist du?“, „Wie geht es dir?“. „Die Kinder sind unterschiedlich motiviert“, sagt Sigrid Reusch. Man müsse sie immer beschäftigen und dort abholen, wo sie stehen. Jeder arbeitet in seinem Tempo, viele suchen sich selbstständig Aufgaben heraus. Wer schon besser deutsch kann, hilft den anderen.
Die Kinder seien dankbar, nach der Flucht und Wochen und Monaten der Unsicherheit und Angst einen geordneten Rahmen vorzufinden und eine Beziehung zu den Lehrkräften zu haben, ergänzt Uwe Häfele. „Sie können sich hier sicher fühlen. Schule ist ein geschützter Raum“.