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Freiwilliges Ökologisches Jahr auf dem Biohof: Begeistert von der Arbeit

Freiwilligendienst Yosthin Keller hilft ein Jahr auf einem Biolandhof in Reichenbach aus – eine Win-win-Situation. Von Karin Ait-Atmana

Reichenbach. Eigentlich wollte Yosthin Keller, der aus der Tübinger Gegend kommt, seinen Dienst näher an Zuhause absolvieren. Und eigentlich wollte Beate Schickinger einen Freiwilligen, der schon volljährig ist und nicht zu weit weg wohnt, denn Unterkunft kann sie auf dem Hof nicht bieten. Aber mangels Alternativen haben beide doch zusammengefunden, womit sie nun sehr glücklich sind.

 

Das kann ich mir gut vorstellen.
Yosthin Keller
auf die Frage, ob für ihn ein landwirtschaftlicher Beruf in Frage kommt.
 

„Meine Mutter ist auf einem Bauernhof groß geworden“, erzählt Yosthin. Der 17-Jährige findet, dass die Landwirtschaft zu wenig Wertschätzung und Beachtung in der Gesellschaft erfährt und wollte sich ein eigenes Bild machen. Ein FÖJ (Freiwilliges Ökologisches Jahr) bietet dafür eine gute Gelegenheit: ein Jahr lang ohne weitere Verpflichtung reinschnuppern – das sei „ganz cool“, sagt Yosthin, der für den Einsatz auf dem Reichenbacher Biolandhof in eine Wohngemeinschaft nach Wernau gezogen ist. Er bereut es nicht, sondern ist ziemlich begeistert von seiner FÖJ-Stelle: „Das habe ich mir gar nicht so vielseitig vorgestellt.“ Im September nach dem Start hat er noch einen Teil der Ernte miterlebt, mit der kalten Jahreszeit wechselte er in den Vertrieb, wo er unter anderem Gemüsekisten abpackt und die kaufmännischen Zusammenhänge kennenlernt. Und auch draußen läuft selbst im Winter einiges: Gemeinsam hätten sie die Folien des Gewächshauses und der Folientunnel erneuert, erzählt Felix Schickinger, und seit kurzem werden auch die ersten Kulturen wie Feldsalat und Rucola ausgepflanzt.

Chef und Azubi zugleich

Auf dem Acker ist Yosthin oft zusammen mit Felix Schickinger unterwegs, der grade mal vier Jahre älter ist als er und eine ziemlich ungewöhnliche Doppelrolle auf dem Hof hat: Er ist Chef und Azubi zugleich. Chef, weil er seit dem Tod seines Vaters vor fast zwei Jahren zusammen mit seiner Mutter die Fäden in der Hand hat. Und Azubi, weil er nach der bereits abgeschlossenen Ausbildung zum Landmaschinenmechatroniker nun noch eine zum Gärtner im Gemüsebau dranhängt. Das kann er auf dem eigenen Hof machen, weil dort ein Gärtnermeister angestellt ist. Es bedeutet aber auch, dass er immer wieder wochenweise Berufsschule hat.

Umso mehr ist jede helfende Hand gefragt. Und Yosthin Keller ist motiviert und engagiert, „immer bereit, was zu tun“, sagt Beate Schickinger: „Er hat auch zwei Tonnen Kartoffeln sortiert, das war für ihn kein Problem“. Sie lobt den Freiwilligen sehr. Anfangs habe man ein paar grundsätzliche Dinge klären müssen, wie das halt ist, wenn ein so junger Mensch direkt von der Schule kommt. Aber Yosthin habe sich „ganz super entwickelt“ und ihr volles Vertrauen. Mittlerweile mache er verschiedene Dinge eigenverantwortlich, da sei er dann Feuer und Flamme. Ziemlich wetterfest ist der FÖJ-ler zudem, und seit kurzem geht er jede zweite Woche samstags mit auf den Markt, wo dringend Unterstützung gebraucht wurde. Bei alledem habe er schon eine Menge gelernt, sagt er selbst. Ob für ihn nach diesen Erfahrungen ein landwirtschaftlicher Beruf in Frage käme? „Doch – das kann ich mir gut vorstellen“, sagt er. Zunächst will er aber noch die Hochschulreife machen.

Das FÖJ hat Premiere auf dem Biohof

Für Schickingers ist es das erste Mal, dass sie eine FÖJ-Stelle besetzt haben. „Da habe ich eine Chance gesehen“, sagt Beate Schickinger, die schon oft Praktikanten von Waldorfschulen hatte. Die sind ihr weiterhin willkommen, aber vergleichbar sei das nicht: „Die sind vier Wochen da, und wenn sie dann ein bisschen drin sind, dann gehen sie wieder“. Yosthin erlebe dagegen mit dem FÖJ ein komplettes Gartenjahr.

Unterm Strich also ein wirklich lohnender Versuch. Aber etwas Neues auszuprobieren, gehört auf dem Reichenbacher Biohof, der kürzlich für 30 Jahre Mitgliedschaft im Bioland-Verband geehrt wurde, sowieso immer dazu, und sei’s nur beim Anbau. Letztes Jahr hat man sich erstmals mit Melonen versucht, dieses Jahr will sich Felix Schickinger an Süßkartoffeln wagen.

Engagement für die Umwelt

Ein FÖJ, Freiwilliges Ökologisches Jahr, bietet die Möglichkeit, sich für die Umwelt zu engagieren und Einblick in „grüne“ Berufe zu nehmen. Einsatzstellen sind zum Beispiel Umweltzentren und Umweltorganisationen, Bauernhöfe, Wald- und Naturkindergärten, Unternehmen in der Landschaftspflege oder im Bereich regenerativer Energien. Teilnehmen können Freiwillige bis zum Alter von 27 Jahren. Für ältere Interessierte gibt es die Möglichkeit des Ökologischen Bundesfreiwilligendienstes

In der Regel dauert ein FÖJ ein Jahr, wobei Urlaubstage und 25 Seminartage enthalten sind. Die Teilnehmer erhalten Taschengeld, Unterkunft und Verpflegung beziehungsweise Kostenersatz dafür und sind sozialversichert. Im Land gibt es vier Träger fürs FÖJ: die Landeszentrale für politische Bildung, die Freiwilligendienste der Diözese Rottenburg-Stuttgart, das Diakonische Werk und der Internationale Bund.