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Für Lukas gilt jetzt die „hora boliviana“

Auslandsjahr Ein 17-jähriger Abiturient aus Dettingen hat sich dazu entschieden, ein „Gap Year“ in einem Kinderheim in Bolivien zu machen und berichtet von ersten Erfahrungen. Von Linda Kircheis

Lukas ist mit einer Kollegin im Pick-up unterwegs durch Sucre.Foto: privat
Lukas ist mit einer Kollegin im Pick-up unterwegs durch Sucre.Foto: privat

Ein einmaliges Erlebnis hat der 17-jährige Lukas Schmid vor sich. Anfang August ist er von Frankfurt aus in Boliviens Hauptstadt Sucre geflogen. Dort lebt er für ein Jahr. Bolivien ist ein eher armer Staat, der in der Mitte von Südamerika liegt.

Lukas kam auf die Idee, nach Bolivien zu gehen, da er seine Spanischkenntnisse aufbessern will. Spanien liegt ihm zu nah an der Heimat. „Außerdem hoffe ich, dass mein Freiwilligendienst meinen kulturellen Horizont erweitert und mich für die Lebensumstände benachteiligter Menschen sensibilisiert“, sagt Lukas.

Der Abiturient möchte in seinem Auslandsjahr aber nicht nur seinen Horizont erweitern, sondern auch anderen Menschen helfen - daher die Entscheidung, in ein Kinderheim für Jungen zu gehen. Dort hilft Lukas ab sofort den 6- bis 18-Jährigen bei den Hausaufgaben. Nach der Schule verbringen sie gemeinsam ihre Freizeit. Außerdem ist es die Aufgabe des Dettingers, den Austausch mit den Schulen der Kinder und jungen Erwachsenen zu pflegen.

Die meisten Heimbewohner hatten es nicht leicht: Viele von ihnen haben extrem arme Eltern, die nicht mehr für ihre Kinder sorgen konnten. Andere hat das Jugendamt geschickt, weil sich zu Hause die Fälle von häuslicher Gewalt häuften.

Die größten Schwierigkeiten bisher zeigten sich aber nicht etwa in Bolivien, sondern schon in Deutschland: Lukas war bei seiner Ausreise noch nicht volljährig. Daher gab es nur ein einziges Programm, mit dem er in ein lateinamerikanisches Land gehen konnte. Somit nimmt Lukas jetzt am „Internationalen Jugendfreiwilligendienst“ teil. Volunta, die Trägergesellschaft für Freiwilligendienste des DRK in Hessen, war die einzige Organisation, die ihn nach Bolivien gehen ließ.

Dort gab es bisher nur die üblichen Komplikationen: Anfangs waren etliche Behördengänge nötig, unter anderem zu Interpol. Lukas‘ Finger mussten für viele Abdrücke herhalten, es galt, Papiere auszufüllen und zu unterschreiben. Das endgültige Visum haben der Deutsche und seine Kollegen nach vielen Besuchen der Einwanderungsbehörde und über zwei Wochen Wartezeit dann auch endlich bekommen.

Nach seinem Jugendfreiwilligendienst möchte Lukas Wirtschaft studieren, gerne mit internationalem Bezug. „Ich hoffe, dass mich das Jahr auch mit der endgültigen Wahl meines Studienfachs weiterbringt. Allerdings weiß ich im Moment selbst nicht so richtig, wie das funktionieren könnte“, sagt er.

Schon wenige Wochen nach der Ankunft erscheinen ihm deutsche Werte in einem anderen Licht. Ein Beispiel: „Ein großes Thema sind Uhrzeit und Pünktlichkeit. Wenn sie irgendwo eingeladen sind, kommen die Bolivianer frühestens eine Stunde nach dem angegebenen Zeitpunkt, zur sogenannten hora boliviana. Pünktlich zu kommen, ist unhöflich, da der Gastgeber möglicherweise noch mitten in den Vorbereitungen stecken könnte“, erzählt Lukas. Nicht nur das: Auch von umweltbewusstem Verhalten scheinen die Bolivianer nicht viel zu halten. Obwohl der Schutz der Natur in der Verfassung festgeschrieben ist, stoßen viele Autos beim Anfahren dicke, schwarze Abgaswolken aus.

Auch die Kontraste sind sehr ungewohnt für Lukas: „Es gibt geografisch beziehungsweise klimatisch vom tropischen Regenwald bis hin zu über 6 000 Meter hohe Bergen alles. In wirtschaftsstarken Städten gibt es Millionäre, die ihr Geld häufig durch Drogenhandel gemacht haben, und bettelarme Einheimische.“ Obwohl Europäer und Amerikaner von den Bolivianern „gringos“ genannt werden, gefällt es Lukas bisher gut.