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Fund ist ein Sechser im Lotto

In Bissingen wurde ein unberaubtes Grab aus dem 7. Jahrhundert entdeckt

Im 7. Jahrhundert wurde in Bissingen an der Teck ein Krieger begraben. Welchen Andrang es 14 Jahrhunderte später um sein wieder ausgegrabenes Grab geben sollte, hätte er sich wohl in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können – und dass er zum Glücksfall für die Denkmalpflege wird.

Im Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart - fas Goldblattkreuz aus dem Grab des frühmittelalterlichen Krie

Im Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart - fas Goldblattkreuz aus dem Grab des frühmittelalterlichen Kriegers aus Bissingen

Bissingen/Esslingen. Durch die Innenverdichtung wurden in Bissingens historischem Ortskern bisherige Gärten bebaut. Das Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (LAD) war frühzeitig eingebunden. Im Frühjahr und Sommer 2015 führte es auf dem rund 2 000 Quadratmeter großen Gelände in zwei Abschnitten eine Rettungsgrabung durch. Zuerst wurde eine mittelalterliche Siedlung nachgewiesen. Dunkle Stellen stammen von den Löchern der Pfostenhäuser, in leicht eingegrabenen Grubenhäusern fand häufig die Textilverarbeitung statt. Rote Spuren im Boden an mehreren Stellen lassen auf Feuer und Eisenbearbeitung schließen, über den roten Stellen finden sich Holzkohle- und Aschespuren. Es wurde auch Eisenerz gefunden. Die Datierung erfolgte vor allem anhand der Keramikfunde, zum Großteil aus dem Früh- und Hochmittelalter.

Dann kam Ende Juni der Überraschungsfund: In einer großen Grabkammer war ein frühmittelalterlicher Krieger beigesetzt. Neben dem Schädel und Knochenresten fanden sich im Grab Reste einer reichen Ausstattung. Zu ihr gehören ein Langschwert, Spatha genannt, das einschneidige Kurzschwert, Sax genannt, sowie Lanze und Schild. Durch den Sporn am linken Fuß und ein reich verziertes Pferdegeschirr war der Begrabene als Reiter gekennzeichnet. Hinzu kommt eine reich verzierte Gürtelgarnitur. Eine bronzene Schüssel, ein Keramikgefäß und Schweineknochen sollten die Versorgung im Jenseits sichern. Hinzu kam ein Goldblattkreuz aus hauchdünnem Gold. Vermutlich war es auf einem Tuch aufgenäht, das das Gesicht des Toten bedeckte. „Dieses Kreuz wurde extra für die Bestattung hergestellt“, erläuterte die LAD-Mitarbeiterin Dr. Dorothee Brenner bei der Vorstellung der Funde. Sie fand erst jetzt statt, um während der Grabungsarbeiten ungebetene Besucher zu vermeiden.

In dem Goldblattkreuz dürften eine Viertelstunde bis Stunde Arbeit stecken. Es ist unsauber hergestellt und zu dünn, um als Schmuck getragen zu werden, Es zeigt auch keine Abnutzungen, wurde aber geknickt. Im alemannischen Raum nördlich der Alpen wurden bislang 90 solcher Goldblattkreuze gefunden, südlich der Alpen in der Lombardei sind sie noch häufiger. Das Kreuz ist ein frühes Zeugnis der Christianisierung im alemannischen Raum.

Die Grabbeigaben weisen auf einen hochgestellten Mann hin. „Er hatte in Bissingen sicher das Sagen gehabt“, sagte LAD-Mitarbeiter Dr. Jonathan Scheschkewitz. Mit diesem Begräbnis demonstrierte seine Familie, dass sie auch weiterhin das Sagen haben wollte, zeigte ihren gesellschaftlichen Rang. Der Verstorbene war für die damalige Zeit hoch gewachsen, die Schätzung liegt bei 1,78 Meter, er dürfte 30 bis 40 Jahre alt gewesen sein. Sein Grab datiert noch vor der ersten urkundlichen Erwähnung von Bissingen im Jahr 769 nach Christus. Der Name des Ortes, der auf -ingen endet, weist auf eine frühe alemannische Gründung hin.

Aus archäologischer Sicht, so Scheschkewitz, sei das ungestörte und unberaubte Grab „ein Volltreffer“. Brenner sprach gar von einem „Sechser im Lotto“. Das Grab wurde mit einer Plastikfolie belegt und dann von oben in Gips gegossen. Dann wurde es vorsichtig auf eine Metallplatte geschoben und abtransportiert, um es in der Restaurierungswerkstatt des Landesamts für Denkmalpflege unter Laborbedingungen freizulegen. Der Gipsblock wurde gedreht und von unten eingegipst, dann von oben geöffnet. Die Freilegung ist eine wochenlange Feinarbeit. Durch Computertomografieaufnahmen weiß die Restauratorin Jelena Rieg vorab, an welchen Stellen des Grabes sie welche Dinge erwarten kann. Alleine die Freilegung einer der schönen Gürtelverzierungen bedeutet für die Restauratorin ein bis zwei Tage Arbeit. Das Mikroskop liefert ihr eine bis zu 40-fache Vergrößerung und erleichtert so die Freilegung.

Noch ist nicht sicher, ob und wann die Funde öffentlich gezeigt werden, doch eine Ausstellung ist zumindest angedacht.

Das Landesamt für Denkmalpflege präsentiert Funde aus Bissingen: Ein Goldblattkreuz und Teile des Gürtels.Fotos: Peter Dietrich
Das Landesamt für Denkmalpflege präsentiert Funde aus Bissingen: Ein Goldblattkreuz und Teile des Gürtels.Fotos: Peter Dietrich
Im Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart arbeitet eine Restauratorin an einem Fund, dieser Fund ist nicht
Im Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart arbeitet eine Restauratorin an einem Fund, dieser Fund ist nicht aus dem Bissinger Grab
Im Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart arbeitet die Restauratorin Jelena Rieg am Grab des frühmittelalt
Im Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart arbeitet die Restauratorin Jelena Rieg am Grab des frühmittelalterlichen Kriegers aus Bissingen, das Mikroskop liefert ihr eine bis zu 40-fache Vergrößerung