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Geheimnisse hinterm Bauzaun

Archäologie Der Abriss eines alten Bauernhauses in Dettingen brachte Ungewöhnliches an den Tag: den bislang größten freigelegten Verhüttungsplatz innerhalb von Siedlungen. Von Iris Häfner

Ein Abriss in Dettingen brachte Erstaunliches an den Tag. An der Lauter wurde über Jahrhunderte Eisen in großem Stil verhüttet,
Ein Abriss in Dettingen brachte Erstaunliches an den Tag. An der Lauter wurde über Jahrhunderte Eisen in großem Stil verhüttet, wie Schlackereste und verfärbte Erdschichten belegen. Die ersten Funde lassen sich auf das sechste Jahrhundert datieren. Fotos: Brigitte Krämer
Schlackereste
Schlackereste

Was über Jahrhunderte im Untergrund verborgen schlummerte, kam dank des Abrisses eines alten Bauernhauses in Dettingen ans Tageslicht. Laien gehen achtlos am Bauzaun vorbei, schenken den rotbraunen Erdschichten wenig bis keine Aufmerksamkeit. Archäologen und Bauherr dafür umso mehr. Letzterer befürchtete gerade wegen des andersartigen Bodens Altlasten, was sich auch prompt bewahrheitete - allerdings ganz anders als gedacht, denn „alt“ trifft den Kern der Sache.

Lange vor der Hoch-Zeit des Ruhrpotts florierte das Geschäft mit der Eisenverhüttung an der Lauter. Die gesamte aufgegrabene Fläche beim einstigen Gebäude Hintere Straße 113 war mit Eisenschlacke bedeckt, was auf einen großen Verhüttungsplatz hindeutete und deshalb in einer mehrwöchigen archäologischen Ausgrabung erkundet wurde. „Es fanden sich Eisenschlacken unterschiedlicher Art, die zu zwei Zeitphasen gehörten. Der älteren Phase, die etwa ins 6./7. bis ins 9. Jahrhundert datiert wird, kann eine geschätzte Menge von rund zehn Tonnen Schlacke zugeordnet werden, die auf circa fünf Öfen schließen lässt. Diese befanden sich allerdings wohl knapp neben dem Baufeld Richtung Hintere Straße, von ihnen stammt nur noch eine Winddüse“, erklärt Dr. Dorothee Brenner, Gebietsreferentin beim Landesamt für Denkmalpflege.

Die weitaus größere Menge an Schlacke gehört zu einer jüngeren Phase des 9. und 10. Jahrhunderts. Diese Datierung wird auch von Keramik und einer Münze bestätigt, die aus wenigen Pfostenlöchern stammen, die möglicherweise zu Schutzbauten gehörten, die an einem Eisenverhüttungsplatz zu erwarten sind. „Die Münze ist ein Denar Ludwigs des Kinds, die in dessen Regierungszeit - 900 bis 911 - als ostfränkischer König datiert werden kann. Es handelt sich um einen seltenen Fund, da es sich um einen kurzen Zeitraum der Münzprägung handelt“, hebt Dorothee Brenner die Besonderheit dieses Funds hervor. Zudem würden Münzen im archäologischen Material relativ selten auftauchen, da solche Wertgegenstände im Normalfall nicht weggeworfen wurden, es sich daher um einen Verlustfund handelt.

Die geschätzten 80 Tonnen Schlacke der jüngeren Phase lassen auf mindestens drei Öfen schließen. Es handelt sich um eine Weiterentwicklung der Technologie, bei der durch größere Öfen und höhere Temperaturen zwischen 1200 und 1400 Grad Celsius beim Eisenausschmelzen mehr Eisen produziert wurde und somit auch mehr Schlacke als Abfallprodukt entstand. Von diesen Öfen fand sich ein großer Schachtofen, der einmal repariert wurde. Mit seinem Durchmesser von ungefähr 80 Zentimetern und einer Ofenwand, die an der Basis 20 Zentimeter maß, hatte er ursprünglich etwa eine Höhe von zwei Metern. Es handelt sich dabei um eine Phase in der Weiterentwicklung der Verhüttungstechnologie. Zudem fanden sich viele Eisenerzröstplätze teils auf Schlacke, teils darunter mit einem Durchmesser von ein bis zwei Metern. „Hier wurde das Erz mit Holzkohle geröstet und so auf den Verhüttungsprozess vorbereitet“, erklärt Brenner.

Das Erz stammt vom Käppele, denn dort ist - wie im gesamten Albvorland zwischen Mössingen und dem Aichelberg - der erzführende „braune Jura beta“ in Bachtälern aufgeschlossen. „Dabei handelt es sich um ein sehr großes Eisenbergbaurevier des frühen bis hohen Mittelalters, dessen Erze aber mit ihrem relativ geringen Eisengehalt später dann nicht mehr für eine Verhüttung lohnend waren“, so die Gebietsreferentin.

In den vergangenen Jahren fanden sich sowohl in Kirchheim und Reutlingen, aber auch in kleineren Orten wie Bissingen, Dettingen oder Frickenhausen teils größere Mengen an Eisenschlacken, die auf eine Verhüttung und Organisation in großem Stil schließen lassen. „Der Verhüttungsplatz in Dettingen ist bislang einer der größten freigelegten Plätze innerhalb von Siedlungen. Mit Sicherheit war die Eisenverhüttung damals ein überaus lohnender Wirtschaftszweig, da Eisen eine wichtige Rolle in der Herstellung von vielen Gegenständen spielte“, erklärt Dorothee Brenner.

„In Dettingen tut sich ein neues Kapitel auf“

Mit Interesse verfolgte Rainer Laskowski, Archäologe und ehemaliger Leiter des Kirchheimer Museums, die Ausgrabungen. Mit Dr. Roland Krämer, Vorsitzender des Geschichtsvereins Dettingen, war er auf dem Abriss-Areal und entdeckte die ersten Funde, über die er das Landesamt für Denkmalpflege informierte. „Hier war vermutlich ein Lauterarm, denn bis vor wenigen Jahrhunderten sah die Landschaft in und um Dettingen ganz anders aus. Es gab hier die Lauterauen“, erklärt er.

Über die Entdeckung und deren geschichtlicher Einordnung machte er sich Gedanken. Im Jahr 960 kam Kirchheim durch einen Ringtausch von Bischof Hartpert von Chur an König Otto I. und war damit Reichsgut. „Das war eine kriegerische Zeit. Otto I. hat Kirchheim erworben, weil er Waffen brauchte. Fünf Jahre davor war die Schlacht vom Lechfeld, die das Ende der Ungarneinfälle bedeutete und ein großer Sieg für Otto I. war. Ab 961 gab es zwei Italienfeldzüge, denn Otto  I. eilte dem Papst zu Hilfe. Bischof Hartpert saß in Chur an einem Alpenübergang, von dem man nach Italien kam. Otto I. hat nicht umsonst mit ihm angebandelt. In Kirchheim und Dettingen spielte sich Reichsgeschichte ab“, ist Rainer Laskowski überzeugt und sagt weiter: „Am Käppele gab es den begehrten Rohstoff. In Dettingen wurde in Fronarbeit das Roheisen hergestellt, das dann in Kirchheim zu Waffen weiterverarbeitet wurde. Der Albrand war das erste Ruhrgebiet.“ Er vermutet gar, dass Kirchheim im 10. Jahrhundert ein Waffenzentrum war. „Kirchheim hat früh das Münz- und Marktrecht erhalten, etwa um 1050“, sieht er darin einen Zusammenhang.

Ortskernsanierungen würden beim Landesdenkmalamt immer mehr in den Fokus rücken, freut sich der Archäologe. Mitarbeiter des Amts haben nicht nur den Boden untersucht, sondern auch eine Führung auf dem Areal angeboten, an der corona-bedingt nur wenige teilnehmen konnten. Die wurden auf Schlackehalden und Schmiedeplätze aufmerksam gemacht. „Die Verhüttung findet eigentlich in der Nähe der Abbaustelle des Rohmaterials statt. Warum es vom Käppele runter gekarrt wurde, ist die Frage. In der damaligen Zeit hat man sich nicht unnötige Arbeit gemacht“, so der Archäologe. Seine Überlegung: Die Wasserkraft machte den Standort attraktiv, möglicherweise fürs Schmieden oder um das Rohmaterial zu zerkleinern. „Je feiner das Erz ist, desto einfacher lässt es sich verarbeiten“, sagt Laskowski.

„Dank des Funds tut sich hier sicher ein neues Kapitel auf - auch landesgeschichtlich“, erklärt er. Weil Kirchheim Königsgut war, musste die Stadt keine Rechenschaft ablegen, und so gibt es aus der Zeit Otto I. nichts über die Stadt zu erfahren. „Das herauszufinden, wird Aufgabe der Archäologen sein. Dann gibt es Antworten, wie die Menschen gelebt und ihr Geld verdient haben - und vieles mehr“, ist er überzeugt. ih