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Glücksmomente in schlechter Zeit

Ehejubiläum Else und Erwin Walker aus Kirchheim feiern das seltene Fest der Gnadenhochzeit. Kurz vor der Währungsreform, am 30. April, gaben sie sich das Ja-Wort. Von Iris Häfner

Gnadenhochzeit Walker
Gnadenhochzeit Walker

Vor 70 Jahren haben sie den Bund der Ehe geschlossen: Erwin und Else Walker. Die Erinnerung an diesen besonderen Tag, an das Brautkleid aus Fallschirmseide, ist so präsent, als ob es gestern gewesen wäre. „Das war drei Jahre nach dem verlorenen Krieg. Es gab Lebensmittelrationen: pro Kopf 50 Gramm Fleisch im Monat, 50 Gramm Butter und zwei Kilo Kartoffeln“, erzählt Erwin Walker. Da eine Hochzeit zu organisieren, war eine Herausforderung. Mit dem Bezugsschein zum Lebensmittelhändler zu gehen, machte wenig Sinn, Waren suchte man dort oft vergebens. „Wir mussten hungern“, sagt der 96-Jährige.

Zu essen gab es bei der Hochzeit dann doch. „Die ganze Küche war voll mit Mehl, das wir geschenkt bekommen hatten“, erinnert sich der Jubilar. Als ein Schäfer durch Reudern zog, setzte sich ein Onkel von Else Walker für das Paar ein. Ein Schaf blieb da - im Tausch mit einem alten Wehrmachtsmantel. Es wurde schwarz geschlachtet und zu Bratwürsten verarbeitet. Dazu gab es Kartoffelsalat und als Getränk wässriges Bier. Doch irgendwann kam der „Bratbieramoschd“ aus dem Keller, und die Gästeschar war zufrieden. Die Finanzamtskollegen von Else Walker haben „wunderbare Choräle“ gesungen. Wie man in einer so schlechten Zeit nur heiraten kann, mit diesem Satz wurden die Jungvermählten öfter konfrontiert. Sechs Wochen vor der Währungsreform war das Geld nahezu wertlos.

Die beiden ließen sich davon aber nicht beeindrucken, genossen ihre Flitterwochen in Pfronten im Allgäu. „Ich habe 20 Kilo Kartoffeln mit der Eisenbahn dorthin geschickt. Gott sei Dank sind sie auch angekommen“, sagt Erwin Walker. Das junge Paar wanderte auf den Aggenstein. „900 Meter Höhenunterschied waren das von unserem Ausgangspunkt - und oben ein Bombenwetter. Auf der Rückweg kamen wir in ein schweres Gewitter und pudelnass in der Ostlerhütte an“, erzählt der Jubilar. Auf dem Programm stand auch Schloss Neuschwanstein. 40 Kilometer zu Fuß waren das hin und zurück. Doch irgendwann haben bei Else Walker die Kräfte versagt, und der besorgte Ehemann hielt ein Langholzfuhrwerk an. Else Walker durfte auf einem Stamm Platz nehmen.

Am 20. Juni gab es dann für jeden 40 Mark Kopfgeld. „Das musste zwei bis drei Wochen reichen. Von einem Tag auf den andern wurde man ins kalte Wasser geworfen. Man wusste nicht, wie es weitergeht“, sagt der Jubilar. Der Schriftsetzer entschloss sich zur Selbstständigkeit. Das Gehalt, das Else Walker in drei Jahren als Chefsekretärin im Nürtinger Finanzamt verdiente, reichte für einen Ballen blütenweißes Druckpapier - quasi das Startkapital. Mit einem Vorkriegsfahrrad ging‘s dann auf Kundenreise. Die Firma besteht heute noch, Sohn Joachim hat Walker Etiketten vor 25 Jahren übernommen.

Die beiden älteren Söhne sind Ärzte geworden, sehr zur Freude von Else Walker, die selbst Medizin studieren wollte. Die Zwänge der Zeit erlaubten es nicht. Auf ihr langes, gemeinsamen Leben blicken sie dankbar zurück. „Wir haben das Leben genossen und immer alles zu zweit gemacht“, erzählt Erwin Walker. Dazu zählte das Singen im Liederkranz, das Reisen und das Wandern mit dem Albverein. „Wir sind auch viel in den Bergen rumgekommen.“

Gefeiert wird das seltene Fest der Gnadenhochzeit im Kreis der Familie. Zu der zählen zu den drei Söhnen neun Enkel und ebenso viele Urenkel. „Das Zehnte ist gerade unterwegs“, freuen sich die beiden.