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Gute Komponisten fehlen

„Concerto“ der Stadtkapelle Kirchheim mit Saxophon-Quartett „Clair obscur“

Kirchheim. Als Concerto bezeichnet die Stadtkapelle Kirchheim unter Teck seit einigen Jahren ihre Aufführung mit anspruchsvoller sinfonischer Musik. Wer es immer noch nicht begriffen hätte, dass es keinen Unterschied mehr gibt zwischen klassischen Konzerten und sinfonischen Bläserprogrammen, am Samstag in der Kirchheimer Stadthalle wären die Augen aufgegangen. Das bildungsbürgerliche Publikum der Kulturring-ABO-Konzerte glänzte durch zahlreiches Erscheinen und wurde auch bestens bedient. Denn was die vier Solisten des „Clair obscur Saxophon Quartetts“ Berlin boten, war nicht nur Virtuosität auf Weltniveau, sondern auch eine durchgeformte Leistung, an die selbst viele Streichquartette kaum heranreichen.

Das einzige Manko ist nur, dass die großen Komponisten von Monteverdi bis Mahler halt gar nichts komponiert hatten für sinfonisches Blasorchester. Wenn ihre Werke trotzdem gespielt werden sollen, müssen halt Arrangements herhalten – wie diesmal bei der Ouvertüre zu „Nabucco“ von Giuseppe Verdi.

Zwar gab der Dirigent Marc Lange endlich höchstselbst eine gute Einführung, wohltuend und authentisch. Doch Anfangsnervosität hin, Ehrfurchtsstarre her, die federnde Musik mit dem wohlbekannten Motiv des „Gefangenenchors“ kam einfach nicht so recht vom Fleck. Obwohl die heiklen Akkorde des Blechs blitzsauber intoniert, die Rhythmen meist knackig korrekt, und die klangliche Balancen unanfechtbar gut waren.

Mit dem zweiten Stück des Abends „Urknall“ wurde dann der gordische Knoten äußerst wirkungsvoll durchhauen. Das lag zwar auch an der effektvollen Komposition, die mit einem schönen Krach begann, pardon, mit einem wunderschönen Lärm, bestens organisiert von einem souveränen Marc Lange und einem Orchester, dass der Partitur nichts schuldig blieb. „So geht Musik“, würde die Werbung heutzutage sagen. Dass unsere Musiker beim kommenden internationalen Blasmusikwettbewerb „Flicorno d’Oro“ in Riva del Garda zu den Siegern zählen werden, kann niemand bezweifeln, der die „Generalprobe“ in der Kirchheimer Stadthalle miterlebt hat.

Nach der Pause erklang das sogenannte Selbstwahlstück der Kirchheimer im Wettbewerb. In der Struktur übersichtlich, der Instrumentation noch virtuoser, greift der US-amerikanische Komponist David Marslanka auf einen Bach Choral zurück, paraphrasiert diesen geistreich und gibt allen Instrumentengruppen schönste Gelegenheit, sich vorteilhaft zu präsentieren. Das war so zauberhaft und gleichbleibend auf höchstem Niveau, dass man nur staunen musste, wie Marc Lange diesen enormen Qualitätssprung in so kurzer Zeit schaffen konnte.

Endlich kamen zum Schlussstück die angekündigten vier Saxofonvirtuosen auf das Podium: Kathi Wagner – Baritonsaxofon, Christoph Enzel – Tenorsaxofon, Michael Krullmann – Altsaxofon und Jan Schulte-Bunert – Sopransaxofon. Alle vier spielten atemberaubend gut. Die Laien – so darf man seit Sonntag zu den Kirchheimer Musikern ja gar nicht mehr sagen – also das Orchester konnte mit den Stars aus Berlin locker mithalten. Nur der Komponist leistete sich gelegentlich Patzer, wenn er nach wildestem Saxofongewusel dem Tutti eine einfallslose Coda zuwies.

Am Spielwitz der Stadtkapelle fehlt es also überhaupt nicht, es fehlt an guten Komponisten! Wo ist der Ravel für Blasmusik, wo der Strawinsky, wo der Brahms? All die vielen zeitgenössischen Komponisten schauen in ihrem Œvre für sinfonisches Blasorchester verzückt auf die Musikgeschichte zurück: Zu Bach, Strauss, Mahler, Gershwin zum Beispiel. Und immer sind diese Momente einerseits Balsam für die Ohren, andererseits ranzig gewordene Klangbutter. Dieses Problem hat die Postmoderne halt per se. Damit ist die Stadtkapelle angekommen bei den Stärken und Schwächen des bildungsbürgerlichen Kulturbetriebs. Da muss man doch dankbar sein für jeden feurigen Rhythmus, für jede schmissige Holzbläserattacke, für jedes Trompetenfanal, sei es fortissimo, oder ins Unhörbare verhaucht, so wie wir es gegen Schluss des letzten Stücks ganz wundersam vernommen hatten.

Genug des Lobes! Worte reichen nicht aus. Die Zuhörer waren aus dem Häuschen, gaben Standing Ovations, und selbst die Zugaben setzten noch eines drauf. Beim Wettbewerb am Gardasee kann sich Kirchheim durch sein sinfonisches Blasorchester unter Marc Lange allerbestens vertreten fühlen.