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Hausärztliche Versorgung:  „Die Lage ist besorgniserregend“

Medizin Kreis und Gesundheitsamt wollen Kommunen und Hausärzte bei der Praxisübergabe beratend unterstützen. Ein wirksamer Hebel im Kampf gegen den drohenden Notstand fehlt allerdings. Von Bernd Köble

Hilflosigkeit ist das Stichwort bei der hausärztlichen Versorgung. Städte und Gemeinden außerhalb der Ballungszentren rechnen in naher Zukunft mit dem Schlimmsten, wenn immer mehr Hausarztpraxen altersbedingt eine Nachfolge suchen. Im Mittelbereich Kirchheim gilt die Versorgungslage derzeit noch als gut. Doch auch in der Teckstadt gibt es zurzeit vier Hausarztpraxen, die vor der Übergabe stehen. Im benachbarten Nürtingen ist gar die Hälfte der Hausärztinnen und -ärzte älter als 60 Jahre. 

„Wir brauchen keine Problembeschreibung, sondern endlich Lösungsansätze“, meint Frank Buß, Bürgermeister der Stadt Plochingen. Wie viele seiner Kollegen hat auch er schon wütende Anrufe von Patienten im Rathaus erlebt, die erfolglos um einen Arzttermin kämpfen. Schließlich zählt die medizinische Versorgung zu dem, was man kommunale Daseinsvorsorge nennt und eine Pflichtaufgabe darstellt.

Buß ist Kommunalpolitiker und sitzt für die Freien Wähler im Kreistag. Dort sucht man seit mehr als zehn Jahren im Rahmen der Kommunalen Gesundheitskonferenz, an der auch Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung beteiligt sind, nach Lösungen – bisher erfolglos. Ernüchternd und enttäuschend nennt Buß diese Arbeit. Die Kommunalpolitik
 

„Das Problem wird einfach bei den Städten und Gemeinden abgeladen.
Frank Buß
Plochingens Bürgermeister zum Engpass in der hausärztlichen Versorgung.


ist ebenso hilflos wie manche Patientin oder Patient. Gesundheitspolitik findet auf höherer Ebene statt, und die Bedarfsplanung obliegt alleine der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Deren Mitglieder beklagen die immense Arbeitsbelastung unter immer schwierigeren Bedingungen, wachsende Bürokratie und finanzielle Einschnitte durch die Politik, wie sie die jüngste Streichung der Extravergütung für Neupatienten darstellt. Die Folge: Jungmediziner suchen Flexibilität und Teilzeitmodelle, wie sie in Gemeinschaftspraxen möglich sind. Viele scheuen schlicht die Selbstständigkeit. Wie sehr der kommunalen Seite die Hände gebunden sind, unter­streicht der Esslinger Landrat Heinz Eininger: „Auf der einen Seite entscheiden Ärzte selbst, unter welchen Bedingungen sie ihre Praxis verkaufen, über den Bedarf in der Fläche entscheidet allein die KV.“

Tatenlos zusehen will man der gefährlichen Entwicklung trotzdem nicht. Das Gesundheitsamt im Landkreis möchte den Konflikt moderieren und im kommenden Halbjahr ein Konzept vorstellen, das der Beratung von Kommunen und Medizinern gleichermaßen dienen soll. Vernetzen, beraten, Datengrundlagen und -analysen liefern und das möglichst schon früh vor einer Praxis-Übergabe, denn viele Landärzte warten zu lange, ehe sie sich dem Problem stellen. Für Dominique Scheuermann, die Chefin im Gesundheitsamt, ist klar, dass auch auf kommunaler Ebene etwas geschehen muss. Sie sagt: „Die Lage ist besorgniserregend.“

Kliniken sind der falsche Weg

Kein Teil der Lösung können nach Meinung von Experten die Kliniken sein. Die Freien Wähler im Kreistag wollten prüfen, ob Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in Kooperation mit den Krankenhäusern zur ambulanten Versorgung beitragen könnten. Ein klares Nein kommt von Elvira Benz, der stellvertretenden Geschäftsführerin der Medius-Kliniken. Die Krankenhäuser hätten einen Versorgungsauftrag im stationären Bereich zu erfüllen und dabei selbst mit Personalmangel zu kämpfen, sagt sie. Deshalb müssten in manchen Fachbereichen teure Leasing-Ärzte verpflichtet werden. Außerdem fehle es an Allgemeinmedizinern für diesen Bereich. „Das ist ein Sektor, für den wir schlicht nicht zuständig sind“, betont Benz. Zwar gibt es in Ruit und Nürtingen ambulante Versorgungszentren, allerdings dienen die der stationären Nachsorge in fachärztlichen Bereichen wie der Gynäkologie oder Chirurgie. Für den Landrat stellt sich zudem die Frage, ob solche Modelle von der Ärzteschaft überhaupt gewollt wären. Unterstützende Angebote seitens der Kliniken an niedergelassene Ärzte gab es beispielsweise in der Notfallmedizin. Eininger: „Das wurde eher als Konkurrenz betrachtet.“

Instrumente gegen den Notstand

Die Kassenärztliche Vereinigung in Baden-Württemberg will mit ihrem Förderprogramm „Ziel und Zukunft“ Anreize schaffen, um die haus- und fachärztliche Versorgung in Bereichen, wo Mangel herrscht, zu verbessern. Praxen in Gegenden, die als Förder­gebiet eingestuft sind, erhalten beispielsweise Unterstützung bei der Einstellung von Berufseinsteigern oder Medizinstudenten, die ein praktisches Jahr absolvieren. Gefördert werden auch Kooperationen oder die Einrichtung von Zweigpraxen.

Förderprojekte dieser Art gibt es im Kreis Esslingen in Aichwald und in Reichenbach. Förderfähige Gebiete sind im Moment die Gemeinden Bempflingen, Großbettlingen, Neckartenzlingen und Neckartailfingen. Ein Beispiel für eine gelungene Praxisübergabe gab es zuletzt in Grafenberg. Dort war es nach mehr als einjähriger Suche möglich, eine Zweigpraxis mit Stammsitz in Betzingen neu zu besetzen.

Im Ostalbkreis tragen Medizinische Versorgungszentren (MVZ) seit drei Jahren zur ambulanten Versorgung bei. Im fachärztlichen Bereich gibt es fünf MVZ an Klinikstandorten, die als Tochterunternehmen der Ostalb-Kliniken Patienten betreuen. Die wohnortnahe hausärztliche Versorgung unterstützen weitere MVZ in Gemeinden, die das Umland mitversorgen. Sie werden getragen von Kommunen und Kreisärzteschaft. Ein Beispiel ist die Genossenschaft „Medwald“, in der acht Ärztinnen und Ärzte zwölf Gemeinden im Fränkischen Wald versorgen. Dritte Säule sind MVZ an der Grenze zu benachbarten Landkreisen, die kreisübergreifend arbeiten. bk